Kurz und knapp wird hier eine Geschichte vom Fremdsein erzählt. Von der Entfremdung. Vom fremd werden und fremd bleiben.
Nachdem Louise die Enge der Familie in den Alpen hinter sich lässt, beginnt ein fremdes, aufregendes Leben im studentischen Milieu, einer französischen Universität. Sie lernt zwei Männer kennen, die sie beide für sich einnehmen. Johann, der Deutsche, sticht den französischen Kontrahenten aus und "entführt" Louise nach Deutschland. Hier mutiert der Verlobte und spätere Ehemann vom französischen savoir vivre zum spießbürgerlichen "Sonntags essen bei Mutti".
Hier küsst man sich nicht, sondern gibt sich nur spröde die Hand, isst kaltes Abendbrot und bleibt auch sonst unterkühlt und unter sich. Und dann ist da noch die Nazivergangenheit von Johanns Vater...
"Fremdsein ist eine Erschütterung des Selbstwertgefühls" (...) Wie wahr! Kann man auf 158 Seiten ein ganzes Leben aufschreiben? Sylvie Schenk kann! Und grade die Auslassungen erzählen das, was man vielleicht lieber unerzählt wissen möchte...
Ich bin beeindruckt!
Unbedingt lesen!
Kalifornien Ende der sechziger Jahre: Evie ist vierzehn, untergegangen im Rosenkrieg der frisch geschiedenen Eltern und verzweifelt auf der Suche nach Beachtung. Geld ist immer genug da, Langeweile ebenfalls. An einem öden, endlosen Sommertag begegnet Evie ihrem Schicksal: den "Girls", eine Horde junger Mädchen im ausgefransten Hippie-Look, laut und frei und wild. Sie alle scharen sich um Russel, einen Typen mit Ranch, melancholischem Sexappeal und viel krimineller Energie.
Zügellose Partys, freie Liebe und der Anschein, Teil einer großen, anarchischen Familie zu sein, täuschen Evie über Abhängkeiten, Drogen- und sonstigen Missbrauch hinweg. Wenn die Girls nicht klauen, plündern und andere Deals abziehen, gibt es nichts zu essen, kein Wasser, kein Strom. Bevor Evie den Dreck, die Armut und die Ausbeutung der Girls erkennt, steckt sie selbst tief im geplanten "Charles-Manson-Projekt"...
Wie blöd sind die eigentlich, denkt man immer wieder und doch: diese krasse Parabel über Freiheit und Moral hält einen gefangen. Und schaudernd und atemlos erlebt man den "Untergang des Hauses Usher".
Lesen!
Vielleicht etwas zu lang, zu dick und hin und wieder zu elaboriert aber wahnsinnig gut!
Unglaublich, was Hallberg uns da um die Ohren haut. Wieder mal New York, wieder mal die Siebziger. Wieder mal was mit Sex and Drugs and... Diesmal eher Punk statt Rock'n Roll - irgendwo zwischen den Stroggs, den Ramones und Patti Smith. Illegale Restaurants in zwielichtigen Ecken der Lower East Side - ohne Toiletten, wo man auf dem Weg zum Pinkeln im Treppenhaus jede Menge Kokain gedealt kriegt. Dekadente Künstler in homo- und heterosexueller Experimentierphase. Musiker aus reichen Dynastien mit abgebrochenen Existenzen und aufgekündigten Familienverhältnissen. Kids, die in einer post-humanistischen Phalanx Gruppierung ihr Heil suchen. Ein gehbehinderter Inspektor, der im Good Cop/Bad Cop-Spiel grundsätzlich unterschätzt wird. Ein österreichischer Galerist, der überall seine Finger im Spiel hat.
Ein afro-amerikanischer Lehrer an einer weißen Mädchenschule, der heimlich am großen Roman schreibt und noch heimlicher mit seinem Liebhaber ein Doppelleben jenseits seiner Familie führt. Abgehalfterte Geschäftsleute der Wall Street, ein Journalist, der mehr trinkt als er schreibt und immer auf der Suche nach der perfekten Geschichte ist, ein gescheiterter, einstmals gefeierter Feuerwerker... Alle suchen und finden, geben und verlieren, kratzen zusammen und verschwenden.
Im guten alten Central Park wird ein Mädchen angeschossen und dieser Vorfall führt all die Leute zusammen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Und dann kommt der Super-Gau! Stromausfall im Big Apple, der melting pot wird zum Fegefeuer... Das war die Blackout-Nacht vom 13. auf den 14.juli 1977, die die Stadt in ein Inferno und einen Ort des Terrors verwandelte.
Und danach ist nichts mehr, wie es vorher war...
Heilig Sch...was für ein Buch! Das reisst einen um und hin und her und weg und macht einen echt fertig! Weil man nicht aufhören kann zu lesen. Weil man völlig süchtig ist oder wird. Weil man Verabredungen absagt, sich krank schreiben lässt oder einfach nicht mehr schläft - keine Ahnung!
Nach Jonathan Lethem und seiner "Festung der Einsamkeit" hat es lange kein so großes "New York-Buch" gegeben. Trotz Jennifer Egan und Rachel Kushner.
Aber jetzt!
Also Leute:
lest dieses Buch!
Auch wenn es etwas zu lang, zu dick und manchmal zu elaboriert ist!
Warum glauben noch heute aufgeklärte, kluge Menschen,
dass einer aus dem Grab aufersteht und unser Messias wird? Wie konnten Paulus und Lukas derart prägende Gestalten des Christentums werden? Warum glauben manche Menschen nur das, was sie sehen während andere blind in Gott vertrauen?
Der Autor Emmanuel Carrère, der ungläubig-gläubig-ungläubig war und ist, geht dieser Frage anhand der Apostelgeschichte auf den Grund. Während einer tiefen Sinnkrise katapultiert sich der Autor aus einem Drehbuchprojekt zu "The Returned", einer amerikanischen Serie über Menschen die verstorben sind, ins Leben zurückkehren, ohne zu wissen, dass sie eigentlich tot sind. Die Serie reüssiert, der vorher abgesprungene Autor ärgert sich und verfällt zusätzlich in eine Schreibblockade. Einzig seine Apostelgeschichte, die ihn schon lange bei der Stange hält, unterliegt keiner Krise.
Während dieser Arbeit und einer früheren religiösen Infiltration der Patentante fällt der Autor in eine exzessive Gläubigkeit. Kasteit sich, betet und meditiert was das Zeug hält und sucht nach Absolution. In tiefer Religiösität forscht und recherchiert Carrére anders. Irgendwann kehrt er Gott den Rücken, wird gar zum überzeugten Atheisten und bringt Paulus und Lukas wiederum in einem etwas anderen Kontext zur Sprache.
Erstaunlich wie präzise und klug der Autor sich selbst und seine Arbeit im Spiegel der verschiedenen Glaubensphasen sieht und beschreibt. Viele verschiedene Bibelübersetzungen werden bemüht und schnell wird klar: Glaube ist immer auch eine Sache der Definition. Schon im pragmatischen römischen Reich suchten die Menschen immer wieder Zuflucht im Glauben. Die Römer glaubten an wen und was sie wollten und vor allem nur das, was ihnen irgendwie dienlich war.
Wie halten wir das heute mit dem Glauben, dem Humanismus und der Vielfältigkeit? Egal ob man zu den Kirchgängern gehört oder nicht, ob man bibelfest ist oder zu den Unwissenden gehört. Dieses Buch bringt viel Licht ins Dunkel und macht Lust, sich mit der Genesis zu beschäftigen.
Lesen!
Sie sind jung, klug und gut aussehend. Sie bewerben sich in Harvard - werden angenommen oder auch nicht. Fliegen nach einiger Zeit und trotz Stipendium in hohem Bogen wieder raus und landen
an der Mailänder Wirtschaftsuniversität Bocconi.
Dort lernen sich Alfredo Canella, Sohn eines reichen venezianischen Unternehmers und Donka Berati, ein mittelloser Albaner, kennen. Beide sind brillant. Der eine besticht durch einen hohen Intelligenzquotienten, der andere durch Charme, Eloquenz und einen uneingeschränkten Glauben an sich selbst. Im Schatten des ewig protegierenden Vaters will Alfredo sich aus jeder Abhängigkeit befreien und dem Familienoberhaupt endlich zeigen, was ein echter linker Haken ist!
Die große italienischen Immobilienblase, der unrechte "Ausverkauf" Albaniens in den neunziger Jahren und ein amerikanischer Investor lassen die beiden Freunde zu betrügerischen Höchstleistungen auflaufen. Big Business ist angesagt! Alles ist erlaubt, nur keine Skrupel. Moral? Fehlanzeige! Gewissen? Nicht vorhanden! Und so sympathisch die Helden daherkommen, so kaltblütig verraten sie die, die Ihnen am meisten vertrauen.
Im Wettstreit um Macht, Liebe und Ansehen werden von Kapitel zu Kapitel die unternehmerischen Messer gewetzt - man ahnt, das kann nicht gut ausgehen... Atemlos hechelt man durch die Seiten! Will die beiden Gauner rütteln und schütteln, ihnen Ohrfeigen verpassen und die Leviten lesen - wenn man nur könnte!
Was es mit der "Verschwörung der Tauben" auf sich hat, kann man auf Seite 137 dezidiert nachlesen - ein in der Spieltheorie wohlbekanntes Resultat!
Das ist definitiv mal wieder ein Lieblingsbuch!
Lesen!
Unbedingt!
Ein abgehalfteter Comedian, in der israelischen Provinz auf einer viel zu kleinen Bühne in einem abgewrackten Musentempel. Dovele Grinstein, einst Soldat und Sohn und ewiger Alleinunterhalter einer Shoa-traumatisierten Mutter und eines lebensuntüchtigen Vaters. Schon als Kind zum Außenseiter gestempelt und früh verwaist, lernt Dovele Leben auszuhalten indem er andere zum Lachen bringt.
Mal quält er sein Publikum mit zotigen Witzen und Anzüglichkeiten weit unter der Gürtellinie,
mal jagt er sich selbst ohrfeigend und boxend über die Bühne, dass die Schwarte kracht. Ein altes Mädchen aus vergangener Zeit und ein pensionierter Richter sind unter den Zuschauern. Beider Leben eng mit dem Schicksal Doveles verbunden und längst in Vergessenheit geraten.
Mit seinen komischen Alltagsgeschichten und den skurrilen Possen, die Dovele auf alles und jeden zu reißen weiß, lässt er den Leser, der sich selbst als Teil des Publikums fühlt, direkt in die Hölle all derer blicken, die auf der Schattenseite des Lebens zu Hause sind. Der Abend entgleitet scheinbar, das Publikum zieht fluchend ab. Einzig der Richter ist geläutert und das alte Mädchen wusste schon immer, dass sich hinter der Maske der Unverschämtheit eine zutiefst humanistische, verlorene Seele befindet.
Was für ein Buch!
Was für eine außergewöhnliche Art uns eine Geschichte zu erzählen!
Lesen!
Unbedingt!
Ein großes Panorama deutsch-deutscher Geschichte! Irre und manchmal etwas verstörend. Anstrengend und eher als Fragmente zu lesen. Aber einmal eingetaucht ist man dermaßen gefangen in diesem Witzel-Kosmos, dass man nur schwer wieder rauskommt. Ein wahnsinns Buch, mit vielen verschiedenen Ebenen, das man getrost mehrmals und immer wieder lesen kann.
auf alle Fälle aber:
Lesen!
Unbedingt lesen!