Zwischen Namedropping und Sinnsuche.

Mathias Enard: "Kompass" (Verlag Hanser) | 16.10.2016
Franz Ritter ist Musikwissenschaftler, Sarah Orientalistin. Wesentlich jünger und besessen, von Istanbul bis Aleppo, nimmt Sarah Franz, der von Sarah besessen ist, mit auf Forschungsreise. Was für ein Schatzkästlein sich ihm dadurch öffnet, wie groß der kulturelle Einfluss des Abendlandes auf die westlichen Kulturen war, wie verklärt der Okzident noch immer auf den Orient schaut, erinnert er sich später, in einer schlaflosen Nacht. Und geht noch einmal auf Reisen....

Städte, die uns heute nur noch unter Beschuss, im Dauerkrieg zerstört und als große Massengräber präsentiert werden, lässt Enard erneut aufleben, nimmt den Leser mit in ferne, geheimnisvolle, wunderschöne Länder. Acht Jahre hat der Autor für dieses Buch geforscht und recherchiert. Dementsprechend lang sind die Listen und Erwähnungen bekannter Orientalisten, Musikwissenschaftler und Literaten. Von Adorno über Kafka, Magris und Stefan Zweig (und gefühlte hundert Namen mehr) hat der Orient die Literatur beeinflusst. Von Kunst und Musik ganz zu schweigen!

Die meisten Namen kennt man (vielleicht) nicht, viele Zusammenhänge erschließen sich einem dadurch oft schwer oder gar nicht. Das muss man aushalten können und tapfer überlesen oder selber recherchieren. Und überhaupt verlangt uns Mathias Enard (Prix Goncourt 2015!) einiges ab! Das muss man wollen! Da kann man sich intellektuell mal richtig schön abarbeiten! Aber wenn man sich drauf einlässt, wird man reich beschenkt!

Mit einer charmanten Liebesgeschichte, einer großen Sinnsuche, dem immer währenden Kampf der Kulturen und wunderbaren Reisen, quer durch ehemals blühenden Landschaften des Morgenlandes!

Diese Buch liest man mindestens zweimal!
Lesen!
Unbedingt!