Virginie Despentes: "Liebes Arschloch" (Verlag Kiepenheuer & Witsch) | 9.2.2023
Weil Zoé (junge Radikalfeministin) endlich ihre Wut auf die gesammte toxische Männlichkeit des Universums raushauen kann (#MeToo sei Dank) und Oscar (erfolgreicher, arroganter, alkoholabhängiger Schrifsteller ohne Selbstbewusstsein) für das an den Pranger gestellt wird, was er all die Jahre für "misslungene Anmache" hielt, kann Rebecca (Schauspielerin, Anfang 50, zynisch, gut aussehend, lange Drogenkarriere, noch attraktiv und erfolgreich aber ...) so richtig Position beziehen und fiese, verbale Rundumschläge verteilen. Eine digitale Brieffreundschaft entwickelt sich mehr aus Hassliebe denn Zuneigung, doch im Laufe der Zeit, nachdem alle ihr Gift verschossen haben und es ans Eingemachte geht, ändert sich die Beziehung und die wirklichen Fragen des Lebens werden verhandelt. Es geht ums Älterwerden (und Ältersein), um Beziehungen, Drogen und Abhängigkeiten aller Art, Selbstoptimierung (Selbstbetrug), Erfolg (die Hoffnung darauf und die Angst davor, irgendwann zu scheitern) und die Frage nach dem Sinn des Lebens. Will man alles haben oder nichts erwarten, will man sich anstrengen im Leben oder einfach nur mitmachen und warten, bis der "ganze Scheiß" vorbei ist? Hat man seine Sache gut gemacht (bis jetzt!) oder einfach nur Glück gehabt? Wer liebt uns und wie wichtig ist das eigentlich? Laufen wir vor oder immer nur hinterher?
Wer sich hier nicht irgendwo selbst findet und an die eigene Nase fassen kann, dem ist nicht mehr zu helfen ...
Herrlich rotzig, machmal verblüffend zart, ungewohnt liebevoll und versöhnlich haut uns Despentes alles um die Ohren, was uns ausmacht. Dieses Mal ist es das Schaf im Wolfspelz, das uns den Spiegel vorhält.
Chapeau! Sensationell! Großartig! Ein unglaublicher Lesespaß! Kann man gerade richtig gut gebrauchen!
Lesen!
Unbedingt Lesen!