Die Unzertrennlichen!

Alain Claude Sulzer:"Doppelleben" (Verlag Galiani Berlin) | 19.9.2022
Die Brüder Edmond und Jules Goncourt fühlen sich nach dem Tod der Mutter für immer gegenseitig verpflichtet. Um aufeinander aufzupassen, versagen sie sich den Stand der Ehe, teilen Haus und Garten, Geliebte und Freunde miteinander. Vermögend und ohne Sorgen widmen sie sich ganz den schönen Künsten. Jules malt, Edmond schreibt. Tagebücher und Gesellschaftsromane fließen unaufhörlich aus ihrer Feder. Auch Jules verlegt sich bald ausschließlich aufs Schreiben. Als ihre langjährige Hausangestellte stirbt und sie von deren Doppelleben erfahren, eine Parallelwelt aus Leid und Schmerz, Betrug und Prostitution verfassen die Brüder, erstaunt und fasziniert, einen einzigartigen Roman über die Welt der Unterschicht. Emile Zola, als einziger begeistert von solch offener, nahezu brutaler Bestandsaufnahme einer ihnen gänzlich fremden Lebensweise, erklärt den Roman zum eppochalen Werk, der den moderenen, literarischen Tendenzen Rechnung trägt. Jules erkrankt früh an Syphilis, wird nicht älter als neununddreißig Jahre und lässt einen ewig trauernden Bruder zurück. 1870 unterliegen die Franzosen den Preußen, der Krieg ist zu Ende doch Ränke zwischen den Pariser Kommunarden und regierungstreuen Truppen, lassen das Leben in und um Paris nicht zur Ruhe kommen. Es fehlt an allem und was nicht unbedingt lebensnotwendig ist, wird veräußert.  Dennoch gelingt es Edmond die Villa zu halten, den künstlerischen Schatz seines Bruders zu bewahren und zu seinen Ehren einen Literaturpreis zu stiften. Der Prix Goncourt ehrt noch heute den besten französichsprachigen Roman des Jahres.
Was für ein praller, kraftvoller Roman. Ein Zeit- und Sittenporträt des 19. Jahrhunderts von Flaubert bis Zola. Fein und elegant geschrieben, sehr erhellend und anhand der  "Goncourtschen" Tagebücher  von großer Wahrhaftigkeit. Ein literarischer Genuß!
Lesen!
Unbedingt lesen!