Gary Shteyngart: "Kleiner Versager" (Rowohlt) | 9.10.2015
Igor Shteyngart wächst asmathisch, kränklich, aber hoch ambitioniert in Leningrad auf. Schon früh entdeckt der unsportliche Junge, liebevoll von seiner Mutter "kleiner Versager" und vom Vater "Rotznase"
genannt, den fulminanten Kosmos der Literatur. Noch in Russland verfasst das Kind sein erstes Werk "Lenins wunderbare Wildgänse"- frei nach dem großen Vorbild Nils Holgersson. Einzig die Großmutter, die das Kind für jede Seite mit dicken Käsescheiben füttert, erkennt in Igor den späteren Schriftsteller.
In den 1979er Jahren wandert die jüdisch-russische Familie zum Feind, nach Amerika aus. Igor, der sich später Gary nennen lassen wird, geht durch eine harte Schule. Getreten zu werden und zurück zu treten sind im pseudoliberalen Amerika seine ersten Lektionen. Von sprachlichen Barrieren und Missverständnissen ganz zu schweigen! Der Einwanderer im Matrosenanzug muss ordentlich einstecken und lernen sich mit Mumm und
viel Chuzpe durchs Leben zu schlawinern. Von den Eltern verhätschelt und gleichzeitig mit russisch-rüden Erziehungsmethoden in die Welt der amerikanischen Universitäten entlassen,
gibt der Protagonist einen Antiheld, Picaro und Kamikaze par excellence.
Zum Brüllen komisch führt Gary den Leser auf einer Tour de force durch alle Irrungen und Wirrungen des Erwachsenwerdens. Ehrlich und gnadenlos geht der Autor mit sich und einer ganzen Generation Einwanderer und Glückssucher ins Gericht. Niemals larmoyant, kein bisschen Mitleid heischend. Und doch möchte man die "Rotznase" so oft in die
Arme nehmen und ihm sagen: Das wird schon! Von Alkohol und Drogen erweitert und gleichermaßen verstört, nicht ganz jüdisch und nicht richtig russisch, braucht es lange (und viele Jahrzehnte Therapie) bis aus Igor wirklich Gary wird.
Und jeder kriegt hier sein Fett weg - ob er will oder nicht.
Bitterböse und charmant zugleich lesen sich die Abenteuer dieses Simplicissimus. Und alles ist
WAHR!
Einfach zum Niederknien!
Unbedingt lesen!