Die italienische Kolonialgeschichte des 20. Jahrhunderts (und früher!) ist nach Franco und Berlusconi, dem italienischen Trump, ziemlich in Vergessenheit geraten. Der Abessinienkrieg war ein völkerrechtswidriger Eroberungskrieg des faschistischen Italiens gegen Äthiopien. Und wie Italien dort gefoltert, gelyncht, geraubt und vertrieben hat, vom Giftgaseinsatz ganz zu schweigen, wird gerne vergessen und unter den Teppich gekehrt. Erst die vielen ostafrikanischen Flüchtlinge, haben diesen Teil der Geschichte wiederbelebt und Autoren dazu veranlasst, sich damit auseinanderzusetzen.
In diesem vordergründigen Familienroman von Francesca Melandri, geht es um eben diesen Genozid und seine Folgen, die bis in die heutige Zeit reichen. Ilaria lebt in Rom, ist weiß, Mitte Vierzig, Lehrerin, politisch engagiert und überzeugte Querulantin. Der Vater, Bigamist und familiärer "Zechpreller" enthält sich im "Demenznebel" neuerdings jeglicher politischen und geschichtlichen Verantwortung. Als eines Tages ein schwarzer Flüchtling vor ihrer Türe steht, der behauptet mit ihr verwandt zu sein, einen Ausweis mit dem gleichen, italienischen Nachnamen wie sie, ihr Vater und ihre Brüder hat, gerät Ilarias Welt total aus den Fugen. Während sie den Familienstammbaum drei Generationen zurück verfolgt, stößt sie auf politische Ungeheuerlichkeiten und Kriegsgräueltaten, die in ihrer Familie ein wohlgehütetes Geheimnis waren. Ein Vater, der ein Buch über Rassengesetze geschrieben hat und ein Großvater, der mit einer Afrikanerin ein Kind zeugte, ihm sogar seinen Namen gab. Der lange dort lebte, während ein afrikanischer Diktator mittels Duldung italienischer "Entwicklungszusammenarbeit" Millionen von Toten hervorbrachte. In einem offenen aber sehr fernen Krieg, zwischen Äthiopien und Eritrea.
Ungeachtet der westlichen Welt und noch gar nicht so lange her. Wer nicht zufällig im richtigen Land geboren wird, hatte schon immer "schlechte Karten". Während Ilaria sich tief in die desaströse Geschichte ihrer Familie gräbt, wird dem geflüchteten "Neffen" das Aufenthaltsrecht erneut verweigert und die Abschiebung droht... Schon wieder ein Flüchtlichsdrama? Ja und nein. Soll man das lesen? Ja, unbedingt! Unserere Welt ist dermaßen aus dem Gleichgewicht geraten und war letztlich zu keiner Zeit ein guter Ort für alle Menschen. Zumindest, seit das Paradies die Pforten dicht gemacht hat. Und wir haben nur diese eine Welt und irgendwie müssen wir alle darin zurechtkommen!
Am Anfang ein bisschen holprig, aber dann wird's richtig gut und man kann nicht aufhören zu lesen. Ganz schön krass teilweise. Menschen verachtend und rational oft nicht fassbar.
Trotzdem:
Lesen!
Unbedingt lesen!