Auge um Auge Zahn um Zahn!

Charles Lewinsky: "Der Halbbart" (Diogenes Verlag) | 25.9.2020

Ein "Grenzkonflikt" zwischen Pest und Hexenverbrennung.
So wie der Sebi nicht aufs Feld gehört, in keine Soldatenuniform passen will und schon gar nix im Kloster verloren hat, ist der Halbart für alles, was Mühe, Arbeit und Verdruss macht wie geschaffen. Ein geflohener Jude, einer der "ins Feuer gehört" und grad noch mit dem Leben davongekommen ist.
Im Gesicht halb verbrannt und die andere Hälfte mit wildem Bart versehen, findet der Einsiedler in der Nähe eines kleinen schwyzer Dorfes Zuflucht.Weil dem Halbbart die Worte fehlen, zu grausam war das Progrom, dem er zum Opfer fiel, erschafft der kleine Eusebius ihm kurzerhand einen Lebenslauf. Manchmal muss man Geschichten erfinden, umdenken oder neu zusammensetzen. Und wenn die Geschichten dann richtig gut sind, erschaffen sie eine Wirklichkeit - können trösten, Hunger stillen und sogar Leben retten. Im Mittelalter geht man nicht zimperlich miteinander um. Kirchliche und weltliche Obrigkeiten führen ein hartes Regiment.
Da wird gemordet und gemeuchelt, verbrannt, "geviertelt und geteilt", dass es einem die Schuhe auszieht. Und nachdem die Söldner aus den Kriegen in Italien zurückkehren, hat selbst im Dorf, wo alle versuchen friedlich miteinander auszukommen, keiner mehr was zu lachen. Dabei wollen alle eigentlich nur den habsburger Machtansprüchen den garaus machen. So ersinnen Sepi und der Halbbart eine kluge List, die die auf Krawall gebürsteten Soldaten beruhigt und den Habsburgern eine vernichtende Niederlage beschert.
Ein Hochgenuss! Äußerst sprachgewaltig wird hier fabuliert und ganz nebenbei lernt man noch so einiges über die historische Schlacht von Morgarten. Mit den wachen Augen eines einfachen Kindes, das weit über den Rand seines Dorfes blickt, schaut man auf eine Geschichte die sich vielleicht  so zugetragen hat - vielleicht aber auch nicht...
Schade, dass sich der Halbbart nicht auf der Shortlist positionieren konnte. Hat mehr Zeug dazu als Hettches "Herzfaden". Würde ich sagen! Aber mich fragt ja mal wieder kein Schwein.
Wir sollten unsere Smartphones, Computer und Fernseher einfach aus dem Fenster schmeißen und uns aufs Geschichten erzählen verlegen. Könnte helfen!
Lesen!
Unbedingt lesen!