Am Abgrund der existenziellen Banalität - C4 bis C12

Tess Gunty:"Der Kaninchenstall" (Verlag Kiepenheuer&Witsch) | 30.7.2023
Wo ist die verlorene Seele von "Vacca Vale" (Indiana) zu finden? Vielleicht im Kaninchenstall, einem Wohnkomplex mit dünnen Wänden und abgehängten Bewohnern. Einer echten Freakshow in einer fiktiven Stadt, deren gute Zeiten lange vorbei sind. Menschen, die versuchen irgendwie durch den Alltag zu kommen, Arbeits- und antriebslos, gelangweilt und frustiert aber voller Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung. Alles wirkt sich auf alles aus. Blandine, die gleich nach der Geburt ihren ersten Entzug hatte, Hildegard von Bingen als ihre beste Freundin ansieht und nach heiligen Qualen sucht.  Eine junge Mutter, die sich vor den Augen ihres Neugeboren fürchtet. Eine Frau, die qua Geburt unsichtbar ist. Ein Mann, der sich selbst zum Erwecker erkoren hat und durch Einreiben mit Leuchtfarbe, nachts den Schuldigen dieser Welt eine phosphoreszierende Lektion erteilt. Ein altes Ehepaar, dass dem Traum eines nie gelebten Lebens nachhängt und tote Mäuse vor den Türen der Nachbarn ablegt. Drei junge Männer, die aus Verehrung für Blandine und Langeweile (äußerst medientauglich) Tiere quälen. Immer wieder tauchen Kaninchen auf, in jedweder Form. Hoppelnd, lauernd, aus Porzellan, Plastik oder als Ragout. Was genau das bedeuten soll, bleibt ungewiss. Klar ist nur: zu viele Karnickel in einem Stall, beißen sich gegenseitig weg. Eine blutige Angelegenheit. Und so wird auch hier auf ein nicht gerade unblutiges Finale hingearbeitet. Drei Tage bevor Blandine aus ihrem Körper tritt, passiert all das was am Ende eine Ziege, ein Mädchen, eine Lichgestalt und drei Möchtegern-Influencer aus der Vorhölle des Lebens schmeißt und allen die Möglichkeit der Erleuchtung gibt....
Hammer! Schrill, durchgeknallt und großartig übersetzt von Sophie Zeitz.
Absolut heiß auch wenn man sich manchmal echt durchkämpfen muß und sich fast die Zähne ausbeißt:
Lesen!
Unbedingt Lesen!