Operation Bloody Mary!

María Cecilia Barbetta: "Nachtleuchten" (S. Fischer) | 28.10.2018
María Cecilia Barbetta: "Nachtleuchten" (S. Fischer)

Das wäre der Preis gewesen! Der Shortlist! Für mich jedenfalls. Warum? Weil's einfach ein schönes, poetisches, witziges, wahnsinnig gut geschriebenes...Ein Buch, das mal positives in die Gasse haut, trotz politischer Umstürze, Diktatur und Unterdrückung. Dass die Welt am Allerwertesten ist, wissen wir aber dass man in dieser Welt durchaus noch gut zurechtkommen kann, is' irgendwie weniger bekannt. Alle sind dermaßen mit sich und ihrer Life-Work-Balance beschäftigt, mit veganen, nachhaltigen Lebensmodellen ohne Alkohol, Zigaretten und somit auch ohne endlose, politische Diskussionen. Man bleibt zu Hause, rauchfrei, unter sich und seinesgleichen, jault und jammert auf hohem Niveau.

Anders in einem kleinen Viertel, in Buenos Aires. Kurz bevor in Argentinien die Diktatur erneut ihre hässliche Fratze zeigt, präsentiert sich ein kleines Stadtviertel mit all seinen zu- und eingewanderten Bewohnern, in visionärer Höchstform. Ballester, eine Mischung aus Prenzlauer Berg und "gutes Wedding, schlechtes Wedding", ist ein zusammengewürfelter Haufen, die noch Träume haben und alles daran setzen sie zu verwirklichen. Alvaro zum Beispiel, der Poet des Viertels und Mechaniker der legendären Autowerkstatt "Autopia", trotzt Gewalt und Umbruchstimmung mit feinster Lackarbeit und schöner Poesie.  Die Reparaturstätte ist Dreh- und Angelpunkt aller politischen Diskurse. Dort wird die Welt der Politik (und der Frauen wohlgemerkt!) mit den einfachen Termini der Automechanik erklärt. Und weil alle irgendwann mal ein Auto hatten, haben oder brauchen, laufen bei "Autopia" die meisten Fäden (und Bewohner des Viertels) zusammen. Dort lernen wir Teresa kennen, die sich aus Wut und Enttäuschung über die Planung (und Umsetzung)  eines Brüderchens, vom Thron gestoßen fühlt und fortan, als Heilige eine fluoreszierende Madonna von Haus zu Haus trägt. Celio, den schwulen Friseur der "Ewigen Schönheit" der sich endlich traut, dem poetischen"Ambrosia gesalbten" Autoschrauber seine Aufwartung zu machen. Wir treffen auf Lara (Hara) Kiri, die ihr Auto regelmäßig zu Schrott fährt, weil sie so unglücklich in ihrer Ehe verhaftet ist und längst die Orientierung und den Kompass für ihr eigenes Leben verloren hat. "E.T." Nasif Abdala, den kopflosen, traurigen Witwer der am Ende eine Männerpension eröffnet und so seinem Leben wieder einen Sinn gibt. Schwester Maria, die mit ihrer Vespa durch die Armenviertel knattert und deren Herz für die einsamen Seelen (und einen jungen Priester) schlägt... Sie alle haben kleine und große Geheimnisse, die ihr Leben nicht immer leicht machen. Und doch sind sie voller Zuversicht. Das schönste daran ist, dass alle zusammenhalten, sich gegenseitig  helfen, trösten und hin und wieder einem Abtrünnigen die Hand reichen.

Was für ein großartiges Buch! Da geht einem das Herz auf! Ich musste es ein zweites Mal lesen, bevor ich die wundersame Eleganz der Sprache und das, was zwischen den Zeilen steht, richtig genießen konnte. Man muss schon wach und aufmerksam sein(nicht fünf-Seiten-am-Abend tauglich!). Es wird viel gesprungen zwischen den Siebziger- und Fünfziger Jahren. Politik und Schrecken der Militärdiktatur, befinden sich im Subtext, ploppen nur selten und eher am Rande auf. Gut ist, wenn man ein bisschen was weiß, über Perón, Castillo und Konsorten, muss aber nicht sein. Es gibt viel Personal, dass man ins Herz schließt, sobald man sich Ihm gebührend widmet - und dann gar nicht mehr loslassen will. Auch wenn man schon längst mit anderen Büchern beschäftigt ist!

Bereit zum eintauchen? Dann volle Kraft voraus und lesen!
Unbedingt lesen!