Vinchgau ein Dorf in Westösterreich. Jugoslawische Banden und Kleinkriminelle aus Anatolien tyrannisieren die triste Siedlung, in der Gerold zu Hause ist. Die Mutter Prostituierte, der Vater unbekannt. Mit diesem Stammbaum ist man entweder verloren oder tritt einem Karateverein bei.
Gerold, dem der Kampfsport nicht nur Kraft und Ansehen verleiht, ist ansonsten ein stiller, nachdenklicher Junge. Zu dritt träumen sich die Freunde auf Kränen, baufälligen Brücken und gefährlichen Felsvorsprüngen weg vom einfachen Leben, voller Entbehrungen. Typische Adoleszenzgeschichten zwischen Heranwachsenden, wenig beaufsichtigten Halbstarken tragen sich zu.
Gerold beginnt den ersten Mord am todkranken tyrannischen Großvater, der "nach Hause" zurückgekehrt ist, um sich von Tochter und Enkel den Lebensabend erleichtern zu lassen. Früher Missbrauch und ständiges Drangsalieren der Tochter, Gerolds Mutter, ist für den Jungen Grund genug dem Wiedersacher den Garaus zu machen. Der zweite "Mord" ist eher eine Sterbehilfe, die Gerold viel später, einem schwer verletzten Freund erweist. Als ihm selbst das Leben zu gelingen scheint und er ein Art Glück und Zufriedenheit erlebt, klopft der Tod erneut an seine Tür. Und lässt Gerolds Leben aus den Fugen geraten. Nun steht er am höchsten Punkt des Bocksbergs und es fehlt nur noch ein konsequenter, letzter Schritt...
Harter Tobak in höchst literarischer Form. Wer Robert Seethaler "Ein ganzes Leben" gern gelesen hat, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen! Ganz schlicht und klar wird hier über eine Ungeheuerlichkeit berichtet, dass es einen umhaut! Was für eine schöne Sprache, kein Wort zu viel!
Lesen!
Unbedingt lesen!
Als Holly Sykes 1984 nach einer seltsamen Begegnung mit einer alten Lady von zu Hause abhaut, ahnt sie nichts von einer zweiten Nabelschnur, und dass ihr Körper Hüterin einer alten Seele ist. Unscheinbar, vorsichtig und eher freudlos, verbringt Holly ihre Jugend an verschiedensten Orten der Welt. Immer unter Beobachtung und immer auf der Hut. Vor den "Radiomenschen", Stimmen, die nur für sie zu hören sind. Vor nächtlichen Besuchern, die sich plötzlich materialisieren und genauso plötzlich wieder verschwinden. Vor Zeitlöchern, Vorahnungen und kurzen Aussetzern, in denen sie in Zungen spricht.
Als sie D'Arnog kennenlernt, der absurderweise behauptet 1897 geboren worden zu sein, und das erste Mal von den Anachoreten erfährt, passen pötzlich immer mehr Puzzleteile zusammen. Unfälle, die sie vorrausgesehen hat, ihr vor vielen Jahren, auf mysteriöse Weise, verschwundener kleiner Bruder. Gedichte über Apex-Räuber und Seelenfresser.
Nachrichten über Labyrinthe und Horologen. Verschwörungstheorien rund um Nine-Eleven und der Tod ihres Mannes, ein Kriegsfotograf, der im Irak eine politische Intrige aufdeckte.
An Irlands Atlantikküste hat Holly sich im Alter als Schriftstellerin zurückgezogen. Als der "Fall Voorman", eine Geschichte aus einem ihrer erfolgreichen Bücher, tatsächlich passiert, Belgien und andere Landstriche einfach von der Bildfläche verschwinden, Öl, Wasser und andere Ressourcen knapp werden, erkennt Holly, dass sie Mittelpunkt einer Fehde ist, die von dunklen Mächten, in abgelegen Winkeln der Erde ausgetragen wird.
Dass die Seelenfresser das Ende der Menschheit bedeuten und sie vielleicht die einzige Waffe der Guten ist...
Herrschaftszeiten, was für ein Buch!
Ganz nach "faustschem Prinzip" werden hier die Seelen verkauft bzw. sich einverleibt! Total abgefahrener, metaphysischer Thriller, an typischen Mitchell-Schauplätzen. Sollte man den "Wolkenaltlas" oder die "Tausend Herbste des Jacob de Zoet" gelesen haben, trifft man alte Bekannte wieder! Wenn nicht, wird man sie spätestens nach den "Knochenuhren" lesen wollen!
Wie kann man nur so gut schreiben? Zum Niederknien!
Lesen!
Bis zum ersten Drink ist Gardiner Amory ein Mann und Familienvater, wie man ihn sich nur wünschen kann.Ein bisschen stehengeblieben im Patriarchat der fünfziger Jahre zwar aber durchaus gesellschaftsfähig, charmant, gut aussehend und vorzeigbar. Ab 16 Uhr werden dann die ersten Margaritas und Daiquiris gemixt - und die schöne Stimmung ist im Eimer. Amorys andere Seite ist aufbrausend, gewalttätig und unberechenbar.
Daleys Mutter verlässt den Vater, als Daley elf ist. Genau der richtige Zeitpunkt, um nochmal von vorne anfangen zu können - jedenfalls für Daleys Mutter. Jedes Wochenende darf die Tochter (der Sohn verzichtet dankend) den Vater besuchen. Während die Mutter sich einen neuen Mann ohne hochprozentige Allüren angelt, treibt Amory ein übergriffiges, perfides Spiel mit neuer Frau und seiner Tocher. Gefährlich fixiert in ihrer Liebe zum Vater, fühlt Daley sich viele Jahre hingezogen und verantwortlich für ihn. Seine Exzesse werden schlimmer als auch die zweite Frau ihn verlässt. Der gut aussehende Dandy verwahrlost, vereinsamt und säuft sich fast zu Tode. Daley, mit einer angehenden Professur in Berkeley, ist auf dem Weg in ein neues Leben, als Bruder Garvey anruft und sie bittet, die Betreuung des Vater kurzzeitig zu übernehmen. Daley tappt erneut in die Vaterfalle und alles geht auf Anfang!
Faszinierend und abstoßend zugleich sind die Charaktere, die uns begegnen. Man kann sich ihnen nicht entziehen und hofft und wünscht von Seite zu Seite, dass irgendeiner endlich die Notbremse zieht! Starkes Buch! Und irgendwie so englisch.
Da lässt sich jeder, noch so tiefe Abgrund, aushalten.
Lesen!
Eine Frau sucht einen Mann. Nach dem Selbstmord ihres Ehegatten findet sie über Kontaktanzeigen viele, die interessiert sind. Eine Nacht dürfen sie bleiben, dann müssen sie wieder verschwinden. Oder wollen von selbst die Kurve kratzen.
Die Ich-Erzählerin steht nach jedem Liebesspiel auf und backt lieber, für den Rest der Nacht, Kuchen. Bis irgendwann der eine kommt, der bleiben darf. Und die Kuchen am Tag gebacken werden. Durch das Tal von Liebe und Schmerz, Verlust und Trauer geht die Protagonistin mit einer großen Selbstverständlichkeit. In typisch unaufgeregter, fast schon lakonischer de-Moor-Manier, lässt sie uns hinter Fassaden blicken, eigene Befindlichkeiten und Bedürfnisse erinnern und klar werden, dass alles im Leben seine Zeit braucht.
Die Liebe ist ein seltsames Spiel... Stimmt!
Lesen!
Kurz und knapp wird hier eine Geschichte vom Fremdsein erzählt. Von der Entfremdung. Vom fremd werden und fremd bleiben.
Nachdem Louise die Enge der Familie in den Alpen hinter sich lässt, beginnt ein fremdes, aufregendes Leben im studentischen Milieu, einer französischen Universität. Sie lernt zwei Männer kennen, die sie beide für sich einnehmen. Johann, der Deutsche, sticht den französischen Kontrahenten aus und "entführt" Louise nach Deutschland. Hier mutiert der Verlobte und spätere Ehemann vom französischen savoir vivre zum spießbürgerlichen "Sonntags essen bei Mutti".
Hier küsst man sich nicht, sondern gibt sich nur spröde die Hand, isst kaltes Abendbrot und bleibt auch sonst unterkühlt und unter sich. Und dann ist da noch die Nazivergangenheit von Johanns Vater...
"Fremdsein ist eine Erschütterung des Selbstwertgefühls" (...) Wie wahr! Kann man auf 158 Seiten ein ganzes Leben aufschreiben? Sylvie Schenk kann! Und grade die Auslassungen erzählen das, was man vielleicht lieber unerzählt wissen möchte...
Ich bin beeindruckt!
Unbedingt lesen!
Kalifornien Ende der sechziger Jahre: Evie ist vierzehn, untergegangen im Rosenkrieg der frisch geschiedenen Eltern und verzweifelt auf der Suche nach Beachtung. Geld ist immer genug da, Langeweile ebenfalls. An einem öden, endlosen Sommertag begegnet Evie ihrem Schicksal: den "Girls", eine Horde junger Mädchen im ausgefransten Hippie-Look, laut und frei und wild. Sie alle scharen sich um Russel, einen Typen mit Ranch, melancholischem Sexappeal und viel krimineller Energie.
Zügellose Partys, freie Liebe und der Anschein, Teil einer großen, anarchischen Familie zu sein, täuschen Evie über Abhängkeiten, Drogen- und sonstigen Missbrauch hinweg. Wenn die Girls nicht klauen, plündern und andere Deals abziehen, gibt es nichts zu essen, kein Wasser, kein Strom. Bevor Evie den Dreck, die Armut und die Ausbeutung der Girls erkennt, steckt sie selbst tief im geplanten "Charles-Manson-Projekt"...
Wie blöd sind die eigentlich, denkt man immer wieder und doch: diese krasse Parabel über Freiheit und Moral hält einen gefangen. Und schaudernd und atemlos erlebt man den "Untergang des Hauses Usher".
Lesen!
Vielleicht etwas zu lang, zu dick und hin und wieder zu elaboriert aber wahnsinnig gut!
Unglaublich, was Hallberg uns da um die Ohren haut. Wieder mal New York, wieder mal die Siebziger. Wieder mal was mit Sex and Drugs and... Diesmal eher Punk statt Rock'n Roll - irgendwo zwischen den Stroggs, den Ramones und Patti Smith. Illegale Restaurants in zwielichtigen Ecken der Lower East Side - ohne Toiletten, wo man auf dem Weg zum Pinkeln im Treppenhaus jede Menge Kokain gedealt kriegt. Dekadente Künstler in homo- und heterosexueller Experimentierphase. Musiker aus reichen Dynastien mit abgebrochenen Existenzen und aufgekündigten Familienverhältnissen. Kids, die in einer post-humanistischen Phalanx Gruppierung ihr Heil suchen. Ein gehbehinderter Inspektor, der im Good Cop/Bad Cop-Spiel grundsätzlich unterschätzt wird. Ein österreichischer Galerist, der überall seine Finger im Spiel hat.
Ein afro-amerikanischer Lehrer an einer weißen Mädchenschule, der heimlich am großen Roman schreibt und noch heimlicher mit seinem Liebhaber ein Doppelleben jenseits seiner Familie führt. Abgehalfterte Geschäftsleute der Wall Street, ein Journalist, der mehr trinkt als er schreibt und immer auf der Suche nach der perfekten Geschichte ist, ein gescheiterter, einstmals gefeierter Feuerwerker... Alle suchen und finden, geben und verlieren, kratzen zusammen und verschwenden.
Im guten alten Central Park wird ein Mädchen angeschossen und dieser Vorfall führt all die Leute zusammen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Und dann kommt der Super-Gau! Stromausfall im Big Apple, der melting pot wird zum Fegefeuer... Das war die Blackout-Nacht vom 13. auf den 14.juli 1977, die die Stadt in ein Inferno und einen Ort des Terrors verwandelte.
Und danach ist nichts mehr, wie es vorher war...
Heilig Sch...was für ein Buch! Das reisst einen um und hin und her und weg und macht einen echt fertig! Weil man nicht aufhören kann zu lesen. Weil man völlig süchtig ist oder wird. Weil man Verabredungen absagt, sich krank schreiben lässt oder einfach nicht mehr schläft - keine Ahnung!
Nach Jonathan Lethem und seiner "Festung der Einsamkeit" hat es lange kein so großes "New York-Buch" gegeben. Trotz Jennifer Egan und Rachel Kushner.
Aber jetzt!
Also Leute:
lest dieses Buch!
Auch wenn es etwas zu lang, zu dick und manchmal zu elaboriert ist!
Warum glauben noch heute aufgeklärte, kluge Menschen,
dass einer aus dem Grab aufersteht und unser Messias wird? Wie konnten Paulus und Lukas derart prägende Gestalten des Christentums werden? Warum glauben manche Menschen nur das, was sie sehen während andere blind in Gott vertrauen?
Der Autor Emmanuel Carrère, der ungläubig-gläubig-ungläubig war und ist, geht dieser Frage anhand der Apostelgeschichte auf den Grund. Während einer tiefen Sinnkrise katapultiert sich der Autor aus einem Drehbuchprojekt zu "The Returned", einer amerikanischen Serie über Menschen die verstorben sind, ins Leben zurückkehren, ohne zu wissen, dass sie eigentlich tot sind. Die Serie reüssiert, der vorher abgesprungene Autor ärgert sich und verfällt zusätzlich in eine Schreibblockade. Einzig seine Apostelgeschichte, die ihn schon lange bei der Stange hält, unterliegt keiner Krise.
Während dieser Arbeit und einer früheren religiösen Infiltration der Patentante fällt der Autor in eine exzessive Gläubigkeit. Kasteit sich, betet und meditiert was das Zeug hält und sucht nach Absolution. In tiefer Religiösität forscht und recherchiert Carrére anders. Irgendwann kehrt er Gott den Rücken, wird gar zum überzeugten Atheisten und bringt Paulus und Lukas wiederum in einem etwas anderen Kontext zur Sprache.
Erstaunlich wie präzise und klug der Autor sich selbst und seine Arbeit im Spiegel der verschiedenen Glaubensphasen sieht und beschreibt. Viele verschiedene Bibelübersetzungen werden bemüht und schnell wird klar: Glaube ist immer auch eine Sache der Definition. Schon im pragmatischen römischen Reich suchten die Menschen immer wieder Zuflucht im Glauben. Die Römer glaubten an wen und was sie wollten und vor allem nur das, was ihnen irgendwie dienlich war.
Wie halten wir das heute mit dem Glauben, dem Humanismus und der Vielfältigkeit? Egal ob man zu den Kirchgängern gehört oder nicht, ob man bibelfest ist oder zu den Unwissenden gehört. Dieses Buch bringt viel Licht ins Dunkel und macht Lust, sich mit der Genesis zu beschäftigen.
Lesen!
Sie sind jung, klug und gut aussehend. Sie bewerben sich in Harvard - werden angenommen oder auch nicht. Fliegen nach einiger Zeit und trotz Stipendium in hohem Bogen wieder raus und landen
an der Mailänder Wirtschaftsuniversität Bocconi.
Dort lernen sich Alfredo Canella, Sohn eines reichen venezianischen Unternehmers und Donka Berati, ein mittelloser Albaner, kennen. Beide sind brillant. Der eine besticht durch einen hohen Intelligenzquotienten, der andere durch Charme, Eloquenz und einen uneingeschränkten Glauben an sich selbst. Im Schatten des ewig protegierenden Vaters will Alfredo sich aus jeder Abhängigkeit befreien und dem Familienoberhaupt endlich zeigen, was ein echter linker Haken ist!
Die große italienischen Immobilienblase, der unrechte "Ausverkauf" Albaniens in den neunziger Jahren und ein amerikanischer Investor lassen die beiden Freunde zu betrügerischen Höchstleistungen auflaufen. Big Business ist angesagt! Alles ist erlaubt, nur keine Skrupel. Moral? Fehlanzeige! Gewissen? Nicht vorhanden! Und so sympathisch die Helden daherkommen, so kaltblütig verraten sie die, die Ihnen am meisten vertrauen.
Im Wettstreit um Macht, Liebe und Ansehen werden von Kapitel zu Kapitel die unternehmerischen Messer gewetzt - man ahnt, das kann nicht gut ausgehen... Atemlos hechelt man durch die Seiten! Will die beiden Gauner rütteln und schütteln, ihnen Ohrfeigen verpassen und die Leviten lesen - wenn man nur könnte!
Was es mit der "Verschwörung der Tauben" auf sich hat, kann man auf Seite 137 dezidiert nachlesen - ein in der Spieltheorie wohlbekanntes Resultat!
Das ist definitiv mal wieder ein Lieblingsbuch!
Lesen!
Unbedingt!
Ein abgehalfteter Comedian, in der israelischen Provinz auf einer viel zu kleinen Bühne in einem abgewrackten Musentempel. Dovele Grinstein, einst Soldat und Sohn und ewiger Alleinunterhalter einer Shoa-traumatisierten Mutter und eines lebensuntüchtigen Vaters. Schon als Kind zum Außenseiter gestempelt und früh verwaist, lernt Dovele Leben auszuhalten indem er andere zum Lachen bringt.
Mal quält er sein Publikum mit zotigen Witzen und Anzüglichkeiten weit unter der Gürtellinie,
mal jagt er sich selbst ohrfeigend und boxend über die Bühne, dass die Schwarte kracht. Ein altes Mädchen aus vergangener Zeit und ein pensionierter Richter sind unter den Zuschauern. Beider Leben eng mit dem Schicksal Doveles verbunden und längst in Vergessenheit geraten.
Mit seinen komischen Alltagsgeschichten und den skurrilen Possen, die Dovele auf alles und jeden zu reißen weiß, lässt er den Leser, der sich selbst als Teil des Publikums fühlt, direkt in die Hölle all derer blicken, die auf der Schattenseite des Lebens zu Hause sind. Der Abend entgleitet scheinbar, das Publikum zieht fluchend ab. Einzig der Richter ist geläutert und das alte Mädchen wusste schon immer, dass sich hinter der Maske der Unverschämtheit eine zutiefst humanistische, verlorene Seele befindet.
Was für ein Buch!
Was für eine außergewöhnliche Art uns eine Geschichte zu erzählen!
Lesen!
Unbedingt!