Was können wir je wirklich über andere wissen?

Zadie Smith:"Betrug"(Verlag Kiepenheuer &Witch) | 13.11.2023
Obwohl im 19. Jahrhundert angesiedelt und im viktorianischen England verortet, legt Zadie Smith den Finger in die Wunde der heutigen Fake News. Wie Geschichte(n) gemacht und geglaubt wird, ist aktueller denn je und der "Tichborn-Fall" wohl die Blaupause für die Verbreitung falscher Nachrichten. Eine Gerichtsverhandlung soll darüber entscheiden, ob der lange verschollen und tot geglaubte Spross einer reichen Adelsamilie, wirklich der ist, der er behauptet zu sein, als er ganz plötzlich wieder auftaucht. Einem schwarzen ehemaligen Sklaven, als Hauptzeuge geladen, glaubt man nur zu gerne - alleine schon aus schlechtem Gewissen und um sich weltoffen zu zeigen. Alle windigen Fürsprecher des "Anwärters" klingen plausibel und sind doch aus dem Hut gezaubert. Mrs Touchet, Haushälterin, ehemalige Geliebte und Cousine des erfolgreichen Autors William Ainsworth, dessen zweite Frau (die Einzige, die ungebildet, unbelesen aber mit gesunden Menschenverstand, an der Echtheit des verlorenen Sohnes zweifelt) und Ainsworth selbst, verfolgen den Prozess und gehen den Betrügern recht bald auf den Leim. Jeder hat seine eigene Wahrnehmung. Und gerne glaubt man, was ins persönliche Bild und die eigene Lebenserfahrung passt.
Vor dem Hintergrund der kolonialisierenden, aufsteigenden Weltmacht England, literarischer Salons, unerhörter Liebschaften, Aufklärung, der Abschaffung des Sklavenhandels und der Frage nach sozialen Ungerechtigkeiten, bleibt Zadie Smith ihren Prinzipien treu. Nichts ist wie es scheint und alles hängt mit allem zusammen. Von Jamaika bis nach London, wird gehandelt, gelogen und betrogen, dass sich die Balken biegen. Armes Großbritannien! Wieder mal kriegt die Insel eins auf den Deckel - leider zu Recht und in Zeiten der vielen Fake News könnte der Roman nicht aktueller sein.
Großartig! Prall,schillernd, höchst amüsant, nach einer wahren Begebenheit und in überschaubaren Kapiteln wird berichtet. Ganz im Stil der damaligen Zeitungsromane oder heutigen Kurznachrichten. Wunderbar übersetzt von Tanja Handels.
Lesen!
Unbedingt lesen!