Emmanuel Carrere:"V13" (Verlag Matthes & Seitz) | 14.8.2023
Am Freitag (vendredi) dem 13. (deshalb V13) wurden in Paris drei Attentate zur gleichen Zeit verübt. Hunderdreißig, meist junge Menschen verloren dabei ihr Leben und viele für immer schwer traumatisiert und körperlich versehrt. Der längste Gerichtsprozess der franzözischen Geschichte: 9 Monate, 14 Angeklagt, 1800 Nebenkläger und 350 Anwälte. Carrere bgleitet diesen "Jahrhundertprozess" Tag für Tag und lässt Opfer und Täter exemplarisch für die Geschichte des Terrorismus zu Wort kommen. Viele Fragen stellen sich im Laufe der Verhandlungen. Wie sind die elf verbliebenen, angeklagten Terroristen zu bewerten? Wie weit reichte ihre Komplitzenschaft? Warum hat Salah Abdeslam nicht auch seinen Sprengstoffgürtel gezündet? Eine Fehlkonstruktion oder plötzlicher Sinneswandel? Und wie sind diese jungen Männer überhaupt an eine Bande von Fanatikern geraten, die ihnen als Dschihadisten eine große Zukunft im Paradies verkaufen konnten? Angehörige von Opfern und Tätern schildern Lebensläufe junger Menschen, die sich erst irgendwann in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Sehr eindrücklich und manchmal kaum auzuhalten, wird von Hintergrund, Planung und Durchführung eines ungeheuerlichen Attentats erzählt. Richter, Anwälte und Verteidiger setzen professionell alle Puzzlestücke zusammen und versuchen Recht und Gerechtigkeit in ein richtiges Gleichgewicht zu bringen. Man lernt viel über potenzielle aber extreme Gefährlichkeit, Funktionsschwäche der Nachrichtendienste, weißen Rassismus, fatales Polizeiversagen, Strafverteidigung, Opferschutz, Feigheit und großen Mut, "humanitäre Rückholaktionen", fehlgeleitete Lebenswege und vor allem über die Fähigkeit nicht zu hassen. Es wird immer ein neues Molenbeek, ein anderes Syrien geben und eine Chance besteht nur, wenn wir aufmersam bleiben, dem Terror nicht das Feld überlassen und dem Hass unsere Hoffnung entgegensetzen.
Großartiges Buch und ein Plädoyer für Menschlichkeit und staatliches Rechtsprinzip. Eine Ode an die Demokratie und die Macht der Gesellschaft.
Und ebenso großartig übersetzt von Claudia Hamm.
Lesen!
Unbedingt lesen!