Chicago "boystown" 1985. Schwule Clubs und heiße Partys. Drogen, Alkohol und Exzesse "bis der Arzt kommt" bzw. Man(n) feste Beziehungen eingeht, monogam bleibt und häuslich wird. Mit der Liebe ist es überall gleich: man findet und verliebt sich, die Liebe endet und eine neue kommt - oder auch nicht. Untreue, Eifersucht, Misstrauen... Drama. In jeder Konstellation das gleiche. Und mittendrin die kleine Fiona, die sich aufopferungsvoll um den großen Bruder kümmert. Persona non grata und seit seinem coming out vor die familiäre Tür gesetzt. Später wird sich die "kleine Fibi" alle nicht schwulen Männer unter den Nagel reißen und inmitten einer großen, selbst gebastelten Familie ein paar sehr glückliche Jahre haben.
Dass Liebe retten wie auch töten kann, wissen wir seit dem es HIV (und viele Jahre kein Gegenmittel) gibt. Wie ein ungewisser Virus alles lahmlegt, spaltet oder zu Kamikazetaten verführt, haben wir selbst in letzter Zeit erfahren. Jeder geht anders mit dem um was er nicht kennt, was ihm Angst macht.
Der zweite Erzählstrang führt nach Paris ins Jahr 2015, mit Blick auf die Kunstszene der 1920er Jahre rund um Modigliani. Der Bezug zu den Protagonisten der achtziger Jahre gibt der Geschichte einen tollen Twist. Alle sind irgendwie miteinander verbunden. Und während eine Mutter ihre verlorene Tochter sucht und endlich findet, versetzen die Terror-Attentate rund um das "Bataclan"die Stadt in Angst und Schrecken. In Chicago war 2015 aus "boystown" "manstown" geworden, der Sex etwas safer die Demonstrationen für Gleichberechtigung etwas erfolgreicher, das Leben hatte sich auf eine fragile Art und Weise stabilisiert.
Und doch ist Stabilität im Leben immer nur vorübergehend...
Leute, lest dieses Buch - es ist umwerfend!
Man inhaliert die Geschichte, nimmt die Protagonisten ans Herz, lacht und liebt und leidet mit ihnen. Wer Franzen, Chabon, Lethem, Yanagihara oder T. C. Boyle auch nur ein bisschen mag, wird Rebecca Makkai zu Füßen liegen.
Lesen!
Unbedingt lesen!
Berlin.Nationalgalerie 1896.
Der geniale neue Museumsdirektor Hugo von Tschudi traut sich was. Der modernen "Malerei des Augenblicks" verfallen, schafft Tschudi die neuen franzözischen Impressionisten von Paris direkt in die Bodestraße. Und erregt die Gemüter! Kaiser Wilhelm, immer unsicher im öffentlichen Auftreten wegen seiner verkrüppelten "kleinen" Hand, hasst das moderne Geschmiere und den selbstsicheren, nochalanten jungen Kunstkenner. Versteht die neue Art der Malerei nicht, bereut bitter diesen "Taugenichts" auf jenen Posten gehievt zu haben und überlegt den Querulanten wieder loszuwerden. Bode schmiedet ganz eigene Ränke gegen den verrückt gewordenen Hugo von Tschudi. Er selbst hätte wohl gerne das Museum unter seiner Fuchtel gehabt. Und der zwergenhafte Ausnahmekünstler Menzel macht sich die Aufregungen um Manet, Monet, Pissarro, Rodin und Cézanne...ganz anders zu Nutze.
Die tragische Krankheit "Lupus Vulgaris", die Tschudi bald zwingt dauerhaft eine Gesichtsmaske zu tragen (wer könnte das besser nachvollziehen, als wir!) treibt den ruhelosen Mann nach Spanien und lässt ihn dort nicht nur weitere Kunstschätze sondern auch seine schöne Frau finden. Die wiederum keinen Hehl daraus macht, wie schlecht es um Deutschland bestellt ist. Auch das ein Dorn im Auge der Gesellschaft. Max Liebermann, großer Anhänger des Impressionismus und glühender Verehrer Tschudis, ist einer der wenigen Menschen, die Hugo immer wieder ermuntern sein "Projekt der Moderne" nicht aufzugeben. Doch die Deutschen scheinen weit entfernt vom Abschied des Klassizismus...
Was für ein Buch!
Komisch und tragisch zugleich wird von einem ganz besonderen Menschen erzählt, der seiner Zeit weit voraus war. Einer schwierigen Zeit, von Menschen geprägt, die ihre eigenen Unsicherheiten mit lautem Gebrüll, Ausgrenzung und dummen Entscheidungen kaschieren.
Und wie wichtig Kunst in all ihren Facetten ist, merkt man erst wenn man sie nicht mehr hat!
Lange nachdem Tschudi der Nationalgalerie den Rücken gekehrt hat, wollen die Künstlerkreise ihn zurück. Doch manchmal ist ist es einfach zu spät, falsche Entscheidungen zu revidieren.
Lesen!
Unbedingt lesen!
Was er da wieder ausgegraben hat, dieser geniale Stermann! Den wundersamen Aufstieg und Fall des "Joseph Hammer". Selbst ernannter Orientalist und nicht "Lampe im Hause" sondern "Stern am Himmel, will er sein. Nachdem ihn die Orientalische Akademie mit allerhöchster Auszeichnung dekoriert aber dennoch im stinkenden Wien des neunzehten Jahrhunderts behalten will, wird der junge Musterschüler zum selfmade "Dolmetscher im diplomatischen Dienst".
Klug aber sich permanent selbst überschätzend, gerät der gelehrte Tausendsassa in allerhand denkwürde Abenteuer, im kulturell hoch entwickelten Orient. Zehn verschiedene Sprachen sprechend, macht sich Hammer auf die Reise. Eine große Tat muss her, die endlich sein verkanntes Genie beweist. Ein vollständiges Exemplar der Geschichte von Tausendundeiner Nacht gilt es zu finden und zu übersetzen... ( und die ist tatsächlich bis heute maßstabgebend )
Schon Goethe lobte Hammers "Diwan des Hafis" und nahm ihn zum Vorbild. Von Metternich bis Napoeon trifft Joseph Hammer auf viele verschiedene kulturelle Kreise, bereist die halbe Welt, kommt zu Ruhm und hohen akademischen Ehren. Und dennoch verbrennt sich "Ikarus" am Ende die Flügel...
Dieses Buch is der Hammer!
Alles wahr und doch ist's ein Roman! Großartig, fulminant mit viel Wissensvermittlung en passant!
Elegant, witzig, spannend und großartig geschrieben! Wer Kehlmanns "Tyll" gern gelesen hat, wird dieses Buch lieben!
Lesen!
Unbedingt lesen!
Ganz fein und ohne sich des Ichs der großen Schriftstellerin anzumaßen, erzählt Kumpfmüller von den letzten 10 Tagen Virginia Woolfs. Von ihrer asexuellen Beziehung zu ihrem Ehemann, ihrer fatalen Liebe zu Vita Sackville-West, dem frühen Missbrauch durch ihre Brüder, ihrem strengen Elternhaus und dem Unglück, dass jedem Glück auf dem Fuße folgt.
Eine große Todessehnsucht wohnt dieser wunderbaren, klugen Frau inne, befeuert durch schwere Depressionen und der Hoffnung auf Erlösung.
Nach einem missglückten Suizid, verlässt sie kaum noch Bett und Haus, kann weder essen noch schlafen. Einzig im Tagebuch erlaubt sie sich zu reflektieren und Zeugnis abzulegen. Während Kampfflugzeuge über Londen fliegen, kämpft die Autorin, im malerisch gelegenen Cottage in Süd England, einen aussichtslosen Koampf gegen sich selbst. Ein Kampf, der im Wasser endet, mit einem anrührenden (und viel zitierten )Abschiedsbrief an ihren Mann Leonard.
Poetisch, düster, ironisch und oft absurd komisch, ist diese Außen- und Innenasicht einer großen, ambivalenten Schrifstellerin. Eine Frau, die schon früh für ein selbsbestimmtes Leben gekämpft und geschrieben hat und folgerichtig auch desssen Ende nicht dem Schicksal überlassen wollte.
Schön traurig und traurig schön!
Aber Obacht: man sollte selbst gut gestellt sein, wenn man sich dieser literarischen Perle stellt!
Und dann aber nix wie lesen!
Unbedingt!
Wer kennt nicht die Filmszene aus der "Blechtrommel"? Die mit dem Pferdekopf und den Aalen, die sich ekelhaft und schleimig aus Maul, Hals und Ohren schlängeln. Spätestens da war Schluss mit lecker und dem unbeschwerten Genuss einer geräucherten Delikatesse. Unverdient hat der Aal, König der Metamorphose, durch Günter Grass den Todesstoß erhalten. Denn dieser Fisch ist alles andere als abstoßend. Er hat mehrere Eiszeiten überlebt, sich seit 200 Millionen Jahren immer neuen Lebensverhältnissen angepasst, ist unergründlich, geheimnisvoll und wohl bald vom Aussterben bedroht.
Bereits Aristoteles und später Sigmund Freud waren fasziniert ob der zähen Widerstandsfähigkeit des Tieres, dass sich auf dem Land fortbewegen kann, monatelang im Schlamm überlebt, hunderte von Kilometern durch dunckelste Meerestiefen reist, um sich fortzupflanzen und dann zu sterben. Das tut er nur da, wo er herkommt. Nordöstlich von Kuba und den Bahamas, aus der Sargassosee - ein Meer ohne Küsten und Inseln. Da entsteht und "vergeht" er. Und alles was dazwischen passiert, ist nahezu unerforscht obwohl sich schon viele große WissenschaftlerInnen (vor allem Rachel Carson) mit der "großen Aalfrage" beschäftigt haben.
Auf der Spur des Aals sein, heißt auch unserer Erde Untergang ins Auge sehen. Keine Eiszeit, kein Meteorit, kein Krieg hat so viel Schaden angerichtet, wie der Mensch selbst. Wer es noch immer nicht kapiert hat, versteht es vielleicht mit diesem Buch, das ganz nebenbei auch eine wunderbare Hommage an den Vater des Autors ist. Ein einfacher Mann, dessen einzige Nähe zum Sohn beim Aale angeln entstand.
Ein Buch über die Evolution, die Mysterien des Lebens, über die Schönheit der Natur und ihre Vergänglicheit.
Lesen!
Unbedingt lesen!