Oh Winona!

Sebastian Barry: "Tausend Monde" (Verlag Steidl) | 30.9.2020

Tennessee, 1873. Nach dem verlorenen Bürgerkrieg haben Thomas McNulty, John Cole und das Lakota-Mädchen Winona endlich als Familie auf der Farm von Lige Magan ein Zuhause gefunden. Doch das Glück währt nicht lange. Die Banken sind pleite, das Land ist tief gespalten, hungert und gibt die Schuld den eingewanderten Iren, gescheiterten Unionssoldaten und allen übrig gebliebenen Ethnien. Im Streit um die Aufhebung der Sklaverei, wird mehr gelyncht, gefoltert und getötet denn je. Der Ku-Klux-Klan wittert seine Chance, zieht mordend und plündernd durchs Land und macht selbst vor Weißen nicht halt. Winona, fast erwachsen, klug und gut gebildet wird von einem weißen Nachbarsjungen umworben. Eine Lawine der Ablehnung, des Hasses und brutaler Übergriffe wird losgetreten, die alle Mitglieder der Farm in größte Gefahr bringt.
Wie in "Tage ohne Ende" wird die Geschichte der Depression während und nach dem amerikanischen Bürgerkrieg erzählt. Eine Geschichte über Rassismus und politische Fehlentscheidungen. Über blindes Vertrauen und wahre Freundschaft. Über Hass, Rache und am Ende auch über Liebe und die Fähigkeit einander zu vergeben.
Lesen!
Unbedingt lesen.

 


Auge um Auge Zahn um Zahn!

Charles Lewinsky: "Der Halbbart" (Diogenes Verlag) | 25.9.2020

Ein "Grenzkonflikt" zwischen Pest und Hexenverbrennung.
So wie der Sebi nicht aufs Feld gehört, in keine Soldatenuniform passen will und schon gar nix im Kloster verloren hat, ist der Halbart für alles, was Mühe, Arbeit und Verdruss macht wie geschaffen. Ein geflohener Jude, einer der "ins Feuer gehört" und grad noch mit dem Leben davongekommen ist.
Im Gesicht halb verbrannt und die andere Hälfte mit wildem Bart versehen, findet der Einsiedler in der Nähe eines kleinen schwyzer Dorfes Zuflucht.Weil dem Halbbart die Worte fehlen, zu grausam war das Progrom, dem er zum Opfer fiel, erschafft der kleine Eusebius ihm kurzerhand einen Lebenslauf. Manchmal muss man Geschichten erfinden, umdenken oder neu zusammensetzen. Und wenn die Geschichten dann richtig gut sind, erschaffen sie eine Wirklichkeit - können trösten, Hunger stillen und sogar Leben retten. Im Mittelalter geht man nicht zimperlich miteinander um. Kirchliche und weltliche Obrigkeiten führen ein hartes Regiment.
Da wird gemordet und gemeuchelt, verbrannt, "geviertelt und geteilt", dass es einem die Schuhe auszieht. Und nachdem die Söldner aus den Kriegen in Italien zurückkehren, hat selbst im Dorf, wo alle versuchen friedlich miteinander auszukommen, keiner mehr was zu lachen. Dabei wollen alle eigentlich nur den habsburger Machtansprüchen den garaus machen. So ersinnen Sepi und der Halbbart eine kluge List, die die auf Krawall gebürsteten Soldaten beruhigt und den Habsburgern eine vernichtende Niederlage beschert.
Ein Hochgenuss! Äußerst sprachgewaltig wird hier fabuliert und ganz nebenbei lernt man noch so einiges über die historische Schlacht von Morgarten. Mit den wachen Augen eines einfachen Kindes, das weit über den Rand seines Dorfes blickt, schaut man auf eine Geschichte die sich vielleicht  so zugetragen hat - vielleicht aber auch nicht...
Schade, dass sich der Halbbart nicht auf der Shortlist positionieren konnte. Hat mehr Zeug dazu als Hettches "Herzfaden". Würde ich sagen! Aber mich fragt ja mal wieder kein Schwein.
Wir sollten unsere Smartphones, Computer und Fernseher einfach aus dem Fenster schmeißen und uns aufs Geschichten erzählen verlegen. Könnte helfen!
Lesen!
Unbedingt lesen!


War Klaus schwul oder kann nur ein Peter Pan die Welt retten?

Ben Lerner: "Die Topeka Schule" (Verlag Surkamp) | 22.9.2020

Während Adam sich auf seinen High School Abschluss vorbereitet, scheitert das "Debattier Wunder" an sich selbst und der Orientierungslosigkeit einer ganzen Generation weißer, priviligierter amerikanischer Jungs. Die Sprache als Vehikel gedacht funktioniert nicht mehr. Vater Jonathan, ausgewiesener Experte im analytischen Umgang mit "verlorenen Mann-Kindern" erkennt die verzweifelte Sprachlosigkeit des eigenen Sohnes nicht oder viel zu spät.
Jane, Adams Mutter, eine berühmte feministische Autorin weiß, wie Sprache zum gefährlichen Schweigen werden kann oder einem die Worte im Mund verdreht werden. Und Darren, psychisch labil, in einer permanenten Opferrolle, Patient von Jonathan und das reinste Pulverfass, hat viele Worte, die keiner hören will. Was sagen wir, wenn wir etwas sagen? Was meinen wir und was versteht das Gegenüber? Wer bestimmt, was, wo gesagt werden darf?
In Topeka, am Arsch der Welt, herscht Ordnung, solange alle die gleiche Meinung haben, Frauenfeindlichkeit und Homophobie ausgeblendet werden und religiöse Fanatiker politische Bildung vermitteln dürfen. Und wehe, da kommt eine und sagt, wie es auch anders und sogar besser gehen könnte...
Um die Jahrtausendwende versucht eine dysfunktionale Familie sich zu retten, während das ganze Land auf ein großes Desaster zusteuert. Nicht ohne Witz und mit viel Situationskomik lesen wir uns in die Ära Trump ein, ohne es zu merken. Warum und wieso dieser Verrückte und seine Vasallen soweit kommen konnten, fällt einem (nochmal und immer wieder) wie Schuppen von den Augen. Und die alte Weisheit, "dass "nichts so schlecht, dass es nicht für irgend etwas gut ist" hilft da auch nicht wirklich weiter.
Was für ein Buch!
Brilliant! Unglaublich! Für mich der "beste Lerner" und neues Lieblingslieblingslieblingsbuch!
So klug! So witzig! So scharfsinnig!
Hammer!
Lesen!
Unbeding Lesen! (Das ist ein Befehl!)
 

 


Zwischen den Fronten!

Anne Weber: Annette, Ein Heldinnen-Epos (Matthes& Seitz) | 9.9.2020
Mit ausgeprägtem Sinn für Gerechtigkeit (die Sie selbst nie wirklich erfahren  wird) tritt Anne Beaumanoir  trotzig,  jung und voller "idealistischer Flausen im Kopf" der kommunistische Résistance bei. Sie überbringt, vermittelt und kundschaftete aus, lernt ihre große Liebe kennen, studiert Medizin und lebt ganz im humanistischen Sinne: Menschen zu helfen. "Wer Annette kennt, hat immer ein Dach über dem Kopf"(...)
Sie rettet jüdisches Leben, vereitelt Attentate und sieht sich plötzlich auch in der Pflicht, im Algerienkrieg auf der richtigen Seite zu stehen. Die Unabhängikeitsbewegung FLN lässt sie die Fronten wechseln und bringt ihr 10 Jahre Gefängnis ein. Aber wo ist die richtige Seite? Wie weit darf oder muss man gehen?
Auf der Flucht lässt Annette alles zurück - auch ihre Kinder. Sie gelangt nach Tunesien und später, unter Ben Bellas ersten demokratischen Regierungsjahren, nach Algerien. Immer bleibt sie eine Fremde. Muss erkennen, dass Recht haben  nicht auch Recht bekommen heißt. Nachdem ein Staatsstreich sie erneut in die Flucht treibt, kehrt Annette irgendwann nach Frankreich zurück...
Die großrtige Anne Weber schafft eine Bühne für eine Frau, die viel erlebt und viel zu erzählen hat. Kein Roman und doch einer. Alles ist wahr, manches unvorstellbar und kaum zu glauben. Provokant, reflektiert und mit einigem Augenzwinkern, erzählt eine wahre Heldin vom Leben im Widerstand.
Dieses Buch lesen zu dürfen, ist ein großes Glück!
Beiden Frauen wünsche ich aus tiefstem Herzen den Deutschen Buchpreis 2020!
Lesen!
Unbedingt lesen!

Produktive Untergangsstimmung am Ende der Komfortzone!

Jonas Eika: "Nach der Sonne" (Verlag Hanser Berlin) | 26.8.2020
Fünf Geschichten wie fünf Elemente. Bei phosphoreszierendem Sperma, gallertartigem Wasser, außerirdischen Schreien und "einstürzenden Neubauten" kommt man sich vor, wie in einer Action Painting-Pollock Performence.
Dieses Buch ist zugleich wild und zart, bunt und kreidebleich, laut und  mucksmäuschenstill. Eine Tour de Force durch das, was wir Leben nennen. Schön im Sonnenschein - kalt und unerbittlich bei Nacht.
Von Beach Boys in Cancun wird erzählt, die nur scheinbar den Feriengästen zu Diensten sind. Einem Reisenden, der sich in Devirate verliebt, sich darin verliert während seine Bank in einem tiefen Krater verschwindet. Von einem "bad mexican dog" ist die Rede, der den geizigen Gymnasiallehrer in den Ruin treibt. Einer Obdachlosen, die sich in Londons Trümmern eine Familie sucht und wieder verliert. Und von einem alten Ehepaar wird berichtet, dessen Verlust beider Töchter nur mit außerirdischen Hilfsmitteln zu ertragen ist.
Es gibt Selbstoperationen am offenen Kehlkopf, Tötungsdelikte und Wiederauferstehungsrituale. Böse und gut wechselt ständig die Perspektive. Nichts ist eindeutig. Oft ist es traurig meistens absurd und immer etwas klebrig von zu vielen Körperflüssigkeiten. Auf keinen Fall aber ist es langweilig!
Was für ein außergewöhnliches Buch. Krass und prall und gut!
Lesen!
Unbedingt lesen!

Wahrheit oder Pflicht!

David Grossman: "Was Nina wusste" (Verlag Hanser) | 17.8.2020
Drei Frauen, drei Generationen, drei Schicksale. An Großmutter Veras rundem Geburtstag soll endlich ein altes Familiengeheimnis gelüftet werden. Enkelin Gili und ihr Vater wollen mit Vera, ihrer Tochter und Gilis Mutter Nina nach Kroatien fahren. Gili möchte einen Film über die Großmutter drehen, ihre Lebensgeschichte dokumentieren. Auf der ehemaligen Gefängnisinsel Goli Otok war Vera unter Tito viele Jahre in einem Lager interniert. Ihr Kind allein zurücklassend, entschied sie sich gegen die Möglichkeit,sich durch ein Geständnis freizukaufen. Nina mit 6 Jahren auf sich gestellt, schlägt sich durch und überlebt. Der Preis, den beide Frauen dafür zahlen ist hoch und hinterlässt noch in der dritten Genaration seine Spuren. Nina verschwindet ebenfalls früh aus Gilis Leben.
Auf der berschwerlichen Reise und der unwirtlichen Insel nähern sich die Frauen an und Vera kann sich endlich erklären. Auch Nina hat eine schwere Bürde zu tragen, die sich am Ende auf die Schultern der anderen verteilen lässt...
Eva Panic-Nahir hat David Gossman ihre Geschichte erzählt. "Was Nina wusste" beruht auf realen Tatsachen und ist ein zutiefst humanistisches Buch. Spannend erzählt und mit viel Raffinesse führt Grossman den Leser zurück in ein diktatorisches Jugoslawien und die grausamen Machenschaften der Geheimpolizei und worauf es im Leben akommt. Wahrheit oder Pflicht?
Großartig!
Lesen!
Unbedingt lesen!

Jenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort, dort treffen wir uns.

Colum McCann: "Apeirogon" (Verlag Rowohlt) | 10.8.2020
Wer die Seiten eines Apeirogons zählen will, braucht viel Geduld und ein nicht unerhebliches geometrisches Verständnis. Wer den Konflikt zwischen Israel und Palästina verstehen will, braucht verschiedene Perspektiven, elementares Geschichtswissen und vielleicht dieses Buch.
Bassam der Palästinenser und Rami aus Israel führen völlig unterschiedliche Leben und sind doch verbunden durch eine Tangente. Beiden Vätern sind die Töchter durch feindliche Übergriffe  genommen wurden. Kinder noch -  zur falschen Zeit am falschen Ort. Durch "Combatants for Peace" lernen Sie einander kennen und begreifen, dass hüben wie drüben die Attentate und Kollateralschädender der Armee Unschuldige aus ihren Leben reißen und mit Hass kein Frieden zu machen ist. Die beiden Männer nähern sich an, werden Freunde und gehen auf eine ungewöhnliche Reise...
In 1000 Kapiteln erfährt man viel über besetzte Gebiete, Flugrouten von Vögeln und Fluggeschwindigkeiten von Luftgeschossen, der gescheiterten Zweistaatenlösung, gastfreundlichen Palästinensern, willkürlichen Festnahmen bei Grenzkontollen, die erste Intifada, Kindheitserinnerungen, bewohnbare Höhlen, John Cage in Halberstadt, Selbstmordattentäter, Überlebende der Shoah, Abdel Zwaiter, den israelischen Mossad, der Dichte eines Schädelknochens... "Nothing compares 2U" aber alles gehört irgendwie mit allem zusammen, Zufälle schließen sich aus oder ergeben eine mathematische Formel.
Nicht ganz einfach so viel geballte Information zu erfassen und zu verarbeiten. Vieles rauscht an einem vorbei. Zettel und Stift (oder Handy und Google) neben dem Buch könnten helfen. Am Ende bleibt nach wie vor die Frage: wer war zuerst da? Huhn oder Ei? Und man kommt nicht umhin, die ein oder andere Sekundärliteratur zu wälzen.
Lesen!

Liebe rettet alles!?

Emmanuelle Bayamack-Tam:"Arkadien" (Verlag Secession) | 14.7.2020
Während Farahs metamorphischer Körper unter dem Küster Hauser Syndrom explodiert, implodiert das Paradies, in dem sie/er zu Hause ist und wird ad absurdum geführt
Egal ob drogen- liebes- oder mondsüchtig, alt, krank, hübsch, hässlich oder gänzlich unsichtbar. In Arkadien ist jeder willkommen, der keinen Fuß in die Tür der modernen Welt kriegt, weder Besitz noch eine feste Beziehung braucht und sich ohne Bekleidung wohler fühlt als mit. Jeder liebt jeden (auf jede erdenkliche Weise!) und alle lieben Arkadi, das spirituelle Oberhaupt der Truppe.  Wer sich dem Guru und seinen Bedingungen verschreibt, hat Platz in einer gesellschaftlichen Utopie, die ihresgleichen sucht. Liebe ist das was alle und alles zusammenhält. Bedingungs- und grenzenlos. Hoppla! So ganz grenzenlos dann doch nicht. Ein Flüchling dringt ein in "lovecity" und wird unverschämterweise von denen geschützt, die noch keinen vollwertigen Beitrag zur Gemeinschaft geleistet  und überhaupt das Wort Liebe viel zu weit gefasst und falsch verstanden haben...
Wie immer legt Bayamack-Tam fest und nicht ohne Humor den Finger in die Wunde der Menschheit. Es gibt sie einfach nicht, die" beste aller möglichen Welten" oder ist es gerade eben die, die dann doch etwas unbequem ist?
Krasses Buch! Ironisch, mit zarten kleinen Zwischentönen und schweren Seitenhieben in alle Richtungen, haut die Aurorin uns eine Welt um die Ohren, für die man sich täglich schämen könnte.
Lesen!
Unbedingt lesen!

Zwischen "Dallas Buyers Club" und "Ein wenig Leben"

Rebecca Makkai."Die Optimisten"(Eisele Verlag) | 16.6.2020

Chicago "boystown" 1985. Schwule Clubs und heiße Partys. Drogen, Alkohol und Exzesse "bis der Arzt kommt" bzw. Man(n) feste Beziehungen eingeht, monogam bleibt und häuslich wird. Mit der Liebe ist es überall gleich: man findet und verliebt sich, die Liebe endet und eine neue kommt - oder auch nicht. Untreue, Eifersucht, Misstrauen... Drama. In jeder Konstellation das gleiche. Und mittendrin die kleine Fiona, die sich aufopferungsvoll um den großen Bruder kümmert. Persona non grata und  seit seinem coming out vor die familiäre Tür gesetzt. Später wird sich die "kleine Fibi" alle nicht schwulen Männer unter den Nagel reißen und inmitten einer großen, selbst gebastelten Familie ein paar sehr glückliche Jahre haben.
Dass Liebe retten wie auch töten kann, wissen wir seit dem es HIV (und viele Jahre kein Gegenmittel) gibt. Wie ein ungewisser Virus alles lahmlegt, spaltet oder zu Kamikazetaten verführt, haben wir selbst in letzter Zeit erfahren. Jeder geht anders mit dem um was er nicht kennt, was ihm Angst macht.
Der zweite Erzählstrang führt nach Paris ins Jahr 2015, mit Blick auf die Kunstszene der 1920er Jahre rund um Modigliani. Der Bezug zu den Protagonisten der achtziger Jahre gibt der Geschichte einen tollen Twist. Alle sind irgendwie miteinander verbunden. Und während eine Mutter ihre verlorene Tochter sucht und endlich findet, versetzen die Terror-Attentate rund um das "Bataclan"die Stadt in Angst und Schrecken. In Chicago war 2015 aus "boystown" "manstown" geworden, der Sex etwas safer die Demonstrationen für Gleichberechtigung etwas erfolgreicher, das Leben hatte sich auf eine fragile Art und Weise stabilisiert.
Und doch ist Stabilität im Leben  immer nur vorübergehend...
Leute, lest dieses Buch - es ist umwerfend!
Man inhaliert die Geschichte, nimmt die Protagonisten ans Herz, lacht und liebt und leidet mit ihnen. Wer Franzen, Chabon, Lethem, Yanagihara oder T. C. Boyle auch nur ein bisschen mag, wird Rebecca Makkai zu Füßen liegen.
Lesen!
Unbedingt lesen!

 


Is' das Kunst oder kann das weg?

Mariam Kühsel-Hussaini:"Tschudi" (Verlag Rowohlt)) | 6.6.2020

Berlin.Nationalgalerie 1896.
Der geniale neue Museumsdirektor Hugo von Tschudi traut sich was. Der modernen "Malerei des Augenblicks" verfallen, schafft Tschudi die neuen franzözischen Impressionisten von Paris direkt in die Bodestraße. Und erregt die Gemüter! Kaiser Wilhelm, immer unsicher im öffentlichen Auftreten wegen seiner verkrüppelten "kleinen" Hand, hasst das moderne Geschmiere und den selbstsicheren, nochalanten jungen Kunstkenner. Versteht die neue Art der Malerei nicht, bereut bitter diesen "Taugenichts" auf jenen Posten gehievt zu haben und überlegt den Querulanten wieder loszuwerden. Bode schmiedet ganz eigene Ränke gegen den verrückt gewordenen Hugo von Tschudi. Er selbst hätte wohl gerne das Museum unter seiner Fuchtel gehabt. Und der zwergenhafte Ausnahmekünstler Menzel macht sich die Aufregungen um Manet, Monet, Pissarro, Rodin und Cézanne...ganz anders zu Nutze.
Die tragische Krankheit "Lupus Vulgaris", die Tschudi bald zwingt dauerhaft eine Gesichtsmaske zu tragen (wer könnte das besser nachvollziehen, als wir!) treibt den ruhelosen Mann nach Spanien und lässt ihn dort nicht nur weitere Kunstschätze sondern auch seine schöne Frau finden. Die wiederum keinen Hehl daraus macht, wie schlecht es um Deutschland bestellt ist. Auch das ein Dorn im Auge der Gesellschaft. Max Liebermann, großer Anhänger des Impressionismus und glühender Verehrer Tschudis, ist einer der wenigen Menschen, die Hugo immer wieder ermuntern sein "Projekt der Moderne" nicht aufzugeben. Doch die Deutschen scheinen weit entfernt vom Abschied des Klassizismus...
Was für ein Buch!
Komisch und tragisch zugleich wird von einem ganz besonderen Menschen erzählt, der seiner Zeit weit voraus war. Einer schwierigen Zeit, von Menschen geprägt, die ihre eigenen Unsicherheiten mit lautem Gebrüll, Ausgrenzung und dummen Entscheidungen kaschieren.
Und wie wichtig Kunst in all ihren Facetten ist, merkt man erst wenn man sie nicht mehr hat!
Lange nachdem Tschudi der Nationalgalerie den Rücken gekehrt hat, wollen die Künstlerkreise ihn  zurück. Doch manchmal ist ist es einfach zu spät, falsche Entscheidungen zu revidieren.
Lesen!
Unbedingt lesen!