Ran an die Buletten!

Maris Putnins: "Die wilden Piroggenpiraten" (Fischer Schatzinsel), David Mitchell: "Die Tausend Herbste des Jacob de Zoet" (Rowohlt Verlag) | 2.7.2012

Maris Putnins: "Die wilden Piroggenpiraten" (Fischer Schatzinsel)

Wer wissen will, wie zickige Mohnschnecken aus den Fängen gefüllter Piroggen gerettet werden oder brave Eclairs zu tapferen Seerittern mutieren, der sollte sich und der Familie, dieses herrlich verrückte Buch nicht vorenthalten. Tollkühne Abenteuer aus dem Reich der "Kulinarien". Während ein nichtsnutziges Angeberhörnchen im Kerker schmachtet und die süße Mohnschnecke mit den Piraten die Meere unsicher macht, tönt über allem der Schlachtruft: "Macht sie zu Semmelbröseln!" Da krachts in den Wanden, schäumts auf den Wellen und so manche Füllung geht über Bord... Auf dieses Ferienbuch hat die Welt gewartet!

Lesen!

Aber Obacht: hier werden Gelüste geweckt! Kuchen, Hefestückchen,Speckknödel und allerlei Süßes und Deftiges lässt uns das Wasser im Mund zusammenlaufen und den Magen knurren. Also nix für Diätfetischisten!

David Mitchell: "Die Tausend Herbste des Jacob de Zoet" (Rowohlt Verlag)

Wer schon zu groß für dieses wunderbare Buch sein will, muss noch ein bisschen auf den neuen David Mitchell warten.

Mit "Die Tausend Herbste des Jacob de Zoet" geht's dann ab nach Dejima, einem oder dem einzigen Handelsposten des hermetisch abgeriegelten Japan. Ende des 18ten Jahrhunderts kommt ein junger, holländischer Kaufmann nach Japan, legt in Nagasaki an und versucht auf der Insel Dejima mit allerhand zwielichtigen Gestalten sein Glück.

Durch die unerhörte Liebe zu einer Japanerin, gerät Jacob auf Abwege und in höchste Gefahr. Damals wie heute gibt es beim Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen Mord, Intrige und Verrat. Ein Abenteuerroman, gleichermaßen japanisch und flämisch koloriert. Ein Epos über Menschen und Menschlichkeit, Sprache und Kulturen und über eine Welt, die so fremd und schön daherkommt, dass man sich nur schwer, nach über 700 Seiten, wieder losreißen kann...


Apocalypse Now!

T.C.Boyle: "Wenn das Schlachten vorbei ist" (Hanser Verlag) | 22.5.2012

Was ist mehr Tier? Eine Ratte oder ein glückliches Wildschwein? Ein Adler oder eine Schlange? Wieweit dürfen Menschen gehen, um Tiere zu schützen, Vegetarismus durchzusetzen und die Welt zu retten? Wie lange können die natürlichen Ressourcen der Erde noch geschröpft werden?
Radikale Umweltschützer gegen radikale Umweltschützer. Alle wollen das Gleiche, aus unterschiedlichen Gründen, mit unterschiedlichen Methoden...
Das ist mal ein interessanter Ansatz. Die Guten versus die Guten.
Auf welche Seite soll man sich da als Leser schlagen - schwere Aufgabe.
Großes Kino aber allemal. Krass und absolut eindeutig - keine Aussicht auf ein "schönes Leben noch". Und die Erkenntnis, dass auch männliche Autoren, die in die Jahre gekommen sind, nicht zwingend über Impotenz, sexuelle Phantasien mit viel zu jungen Frauen und Prostatatbeschwerden schwadronieren müssen, ist sehr beruhigend.

Lesen!


Im Himmel und auf Erden

Steve Earle: "I'll Never Get Out Of This World Alive" (Blessing Verlag) | 17.4.2012

Was macht ein toter Country Musiker, dem die ewige Ruhe auf die Nerven geht?
Er erscheint dem Arzt und Kumpel, der nicht ganz unschuldig an seinem Ableben ist, als Geist. Doc, der längst Praxis und Approbation verloren hat, kümmert sich, in einem Kaff in Texas, um alles was arm und am Arsch ist. Nutten, Zuhälter Kleinkriminelle mit Schusswunden, Abtreibungen. Längst selbst heroinsüchtig, verdient er sich mit einer "Praxis vom Tisch" die tägliche Dröhnung. Mr-super-schlecht-gelaunt- Geist Hank Williams, hockt stehts im Hintergrund und nörgelt, predigt, meckert, singt und philosophiert aus dem Jenseits, dass die Schwarte kracht. Alles geht hübsch geordnet den Bach runter und man lebt nach dem Motto: Schlimmer geht immer. Bis eines Tages Graciela, Mexikanerin und noch halbes Kind, eine gefährliche Abtreibung überlebt, sich dem guten alten Doc aufdrängt und als Helferin seine illegalen Dienste begleitet. Dieses junge Ding erweist sich bald als Heilige, die mit Handauflegen und beten die Abtrünnigen von San Antonio, auf den rechten Pfad zurückführt. Das passt Einem allerdings gar nicht! Der Countrygeist zieht nochmal alle Register des Bösen und Verwerflichen. Doch irgendwann ist für den alten Kotzbrocken dann auch wirklich zappenduster!
Was für ein Spaß!
Leute, lest dieses Buch und kramt in euren Vinylbeständen nach alten Hank Williams Platten!
Dass dieser Kerl seine eigenen Textzeilen zu früh, zu wörtlich genommen hat, ist wirklich ein Jammer!
Und wer Lust hat, schiebt gleich in den nächsten Plattenladen und hört mal in "Guitar Town" von Steve Earle rein. Es lohnt sich!


Treffen sich zwei

Milena Michiko Flasar: "Ich nannte ihn Krawatte" (Verlag Wagenbach) | 27.3.2012

Ein junger Mann, der sich nach langer Zeit, das erste Mal wieder aus seinem Zimmer wagt - ein Hikikomori.
Ein alter Mann, dem seine Arbeit abhanden gekommen ist und der trotzdem jeden Morgen pünktlich das Haus verlässt, um ins Büro zu gehen - ein Salaryman.
Zwei Außenseiter, die sich über Tage und Wochen auf einer Parbank in Japan ihr Leben erzählen. Geschichten über das Scheitern. Über den Druck der Gesellschaft und über die Kraft der Verweigerung.
Eine Geschichte über Freundschaft, Abschied und Anfang und über alles, was das Leben ausmacht.
Was für ein wunderbares Buch!
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Showdown an der Außenalster!

Frank Schulz: "Onno Viets und der Irre vom Kiez" (Galiani Berlin) | 21.2.2012

Was macht ein gewiefter Altersversager, Berufsverweigerer und Dauerpleitegeier, wenn sein geliebtes Dickerchen 50 wird und unbedingt ein neues Fahrrad braucht?
Er zieht die Kumpels beim Tischtennis ab und wird Pivatdetektiv!
Noppensockenträger Onno Viets, Mitte 50, Hartz-IV-Empfänger und bekennender Nicht-Schwitzer hat seinen ersten Fall.
Ein zwielichtiger Großunternehmer wähnt seine Liebschaft auf Abwegen und will Beweise. Die muß Onno zwischen Hamburg und Mallorca erbringen.
Dumm nur, dass das Popmäuschen ausgerechnet mit Kiez-Gorilla "Händchen", 2 Meter groß und 130 Kilo pure Muskelmasse, angebändelt hat...
Wer das nicht liest ist selber Schuld und verpasst Frank Schulzes Sprachakrobatik vom Feinsten.
Endlich hat der Herr und Meister der deutschen Literatur, nach dem Ouzu-Orakel, wieder zugeschlagen - und zwar amtlich!
Dieses Buch ist der Hammer!
Lesen!


Kinderkriegen bis der Arzt kommt...

Ann Patchett: "Fluss der Wunder" (Bloomsbury Berlin) | 7.2.2012

Im dunklen Herz des Amazonas tobt das Leben. Auf der Suche nach einer abtrünnigen Ärztin, die an einem eigenwilligen Projekt arbeitet, verliert sich ein Forscher im brasilianischen Regenwald.

Eine junge Biologin, die am Rio Negro einer geheimnisvollen Fruchtbarkeitsstudie der Ureinwohner auf die Schliche kommt, wird von ihrer tragischen Vergangenheit eingeholt.
Und alle drei Menschen verbindet ein großes Geheimnis...
Ein spannedes Lehrstück über Moral, Größenwahn und den Wunsch sich für immer unsterblich zu machen.
Schwülstiges Cover und ungünstiger Titel, leider.
Aber Obacht: da steckt viel mehr dahinter, als man vermutet!
Ziemlich, ziemlich spannend und richtig gutes Abenteuerkino!
Lesen!


Neuerscheinungen 2012

"Das Seil" und "Der größere Teil der Welt" | 6.2.2012

Bald kommen die Neuen!
Leider erst im Juni aber so beeindruckend, dass ich schon jetzt den Megatipp loswerden muß:

Stefan aus dem Siepen: Das Seil (dtv)

Ein Mann findet ein Seil!
Hört sich banal an?
Stimmt!
Ist es aber nicht - im Gegenteil!
Weil fast alle Männer eines Dorfes neugierig auf die Suche nach dem Anfang (oder Ende) des komischen Stricks gehen, gerät eine kleine Idylle völlig aus den Fugen.
Aus dem Siepen hat nach "Luftschiff" und "Entzifferung der Schmetterlinge" einen solchen Kracher hingelegt - da zieht's einem die Schuhe aus!
Alles fängt ganz harmlos an und gerät in kürzester Zeit völlig außer Kontrolle. Eine bizarres Abenteuer, bei dem einige Leben auf der Strecke bleiben.
Wer "Die Wand" und "Herr der Fliegen" gerne gelesen hat, wird dieses Buch erst weglegen, wenn es ausgelesen ist. Dafür garantiere ich!
Da lohnt sich das Warten und die Vorfreude!

Etwas schneller (Anfang Februar) kommt man in den Genuss von

Pulitzer-Preisträgerin
Jennifer Egan: Der größere Teil der Welt (Schöffling & Co.)

Ein alternder Musikproduzent, eine kleptomanische Assistentin, ein ehemaliger Punkgittarist und jede Menge Leben.
Die Musikszene San Franciscos der Siebziger, gescheiterte Jugendträume und Freundschaften,
kaputte Ehen und Nasen (von was wohl???) in den Neunzigern, bis hin zu Ökokatastrophen und Ground Zero.
Ein Portrait einer längst vergangenen Zeit, mit all ihren wilden Auswüchsen und kulturellen Umbrüchen. Eine Geschichte über Liebe, Freundschaft, Verlust und der verzweifelten Suche nach dem Sinn des Lebens!
Sehr amüsant!
Und äußerst verblüffend, wie J.E. eine Geschichte neu erzählt, die man schon hundertmal gelesen hat. Man hängt sich sofort an Bennie und Sasha und Scotty dran und will die Bande keinen Moment mehr aus den Augen lassen!
Beam me up Scotty!