Be kind, rewind!

Jennifer Egan:"Candy Haus" (Verlag S. Fischer) | 5.9.2022
Was ist Erinnerung? Was erinnern wir wirklich, wenn wir alle romantischen Verklärungen mal außen vor lassen? Und welchen Nutzen haben Erinnerungen? Bix Bouton hat eine  App entwickelt, die alles speichert, was gewesen ist. Mittels Elektroden lässt sich das ganze Leben einfach in einem Cube speichern, ist jederzeit abrufbar. Einziges Problem: sobald man die Erinnerung im Netz hochgeladen hat, ist alles öffentlich. Und kann äußerst unangenehm werden... Das ruft die Renegaten auf den Plan, die Verweigerer jeglichen Kollektivbewussseins. Es gibt eingepflanzte " Asseln", die das Denken beeinflussen und Proxys und Gray Gabs, die als Hologramme funktionieren...aber keine Bange: das ist kein Siencefiction Roman! Das ist eine rauschhafte Tour de Force durch das schillernde Amerika. Von New York bis in die Wüste, durch Chicago und Los Angeles. Von der Beatniks-Generation, die sich in Musik und Drogen verloren (oder gefunden) hat bis hin zum optimierten digitalen Leben 3.0: faltenfrei, rauchfrei, spaßfrei.
Dabei wollen alle eigentlich nur Geborgenheit und Liebe, einen Platz an den sie gehören. Ein Stück vom Glück, ein Zipfelchen vom "süßen Haus". Doch wie bei Hänsel und Gretel hat jeder Zuckerwürfel seinen Preis...
Hallelujah! Da ist sie wieder! Die einzig wahre Jennifer Egan! Und das Personal aus "Der größerer Teil der Welt" - mehr oder weniger jedenfalls. Aber auch ohne das erste und beste (Pulitzer Price, National Book Critics Circle Award...) Buch gelesen zu haben (was man unbedingt tun sollte!) ist "Candy Haus" wieder ganz großes Kino. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle, Clash der Kulturen und diverser Lebensmodelle. Total irre und absolut mitreißend. Dieses Buch macht süchtig!
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Unbedingt lesen!

Schwäne sind keine Vögel für Teiche.

Giulia Caminito:"Das Wasser des Sees ist niemals süß" (Verlag Wagenbach) | 30.8.2022
Ihr Leben sieht Gaia als "Müllhalde der Reichen, die ihrer Sachen überdrüssig geworden sind". Die Familie ist arm und lebt von dem, was andere nicht mehr brauchen. Illegal, unterm Radar der Wohnungsgesellschaft, wohnt sie in einem Haus voller Schaben und Schimmel, im Hof die benutzten Spritzen der Junkies. Der Vater sitzt nach einem Arbeitsunfall im Rollstuhl,die Mutter arbeitet nahezu rund um die Uhr, ist stolz, streng und unnachgiebig. Hält zusammen, was täglich auseinanderzubrechen droht. Sohn Mario ist ein anarchistischer Nichtsnutz, die Zwillinge zu klein, um das Dilemma der Familie zu verstehen. Gaia, ist wütend, unangepasst, lässt nichts und niemand an sich heran. Penedrant erwirkt Mutter Antonia beim Sozialamt einen Wohnungswechsel in eine bessere Gegend, am Rande Roms und ermöglicht Gaia den Besuch einer guten Schule. Zwingt ihre Tochter, sich Bildung anzueignen. Gaia ist klug, lernt wie verrückt, verschafft sich Respekt und Anerkennung, geht verbissen ihren Weg, der eigentlich Antonias Traum eines besseren Lebens ist. Zum Trotz und als Akt der Rache, studiert Gaia Philosophie. Doch damit ist "kein Blumentopf zu gewinnen" noch nicht mal eine Stelle in einer Fleischerei zu ergattern. Nur die Erkenntnis, dass der Kapitalismus immer da war und niemals aufhören wird. Ohne Liebe und die Fähigkeit empathisch zu sein, nutzt auch die beste Bildung nichts. Am Ende scheitert Gaia an sich selbst und dem Unvermögen dem Leben eine Chance zu geben.
Sehr deprimierend aber unglaublich gut! So wahnsinnig  spannend zu lesen, was dieses ungestüme Mädchen, die Tochter, die Freundin eines Jungen, die beste Freundin einer Gleichgesinnten, die Schülerin, die Studentin...sich selbst und anderen alles zumutet. Ein Buch über prekäre Verhältnisse? Ja aber auch ein Buch über Mut und Stolz und das Scheitern einer vermeintlichen Wohlstandsgesellschaft.
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Unbedingt lesen!

Halbbart mit zwei Fingern.

Charles Lewinsky: "Sein Sohn"(Verlag Diogenes)) | 26.8.2022
Die Geschichte ist schnell erzählt: Als Säugling wird Louis Chabos in einem mailändischen Kinderheim "verklappt". Mutter unbekannt, Vater abgehauen. Das Kost- und Schulgeld allerdings für Jahrzehnte im Voraus bezahlt. Merkwürdig! Während Louis heranwächst, als Kind täglich verdroschen und gepiesackt wird, gibt es immer einen, der ein Auge auf ihn hat. Bald lernt der Junge sich zu wehren und sich nichts mehr gefallen zu lassen, verlässt das Heim, will Soldat werden. Und kommt vom Regen in die Traufe. Unter Napoleon verliert er drei Finger, den Glauben an das Gute  und fast seinen Verstand. Doch wie Hans im Glück hat er immer wieder ein Tauschgeschäft auf Lager, findet Menschen, die ihm wohlgesonnen sind, sein gutes Herz und seine reine Seele erkennen. Kurz findet er eine Art Glück und macht seinen Frieden mit sich und der Welt. Wird Weingutbesitzer, Ehemann, Vater und Teil einer Familie, die es gut mit ihm meint. Aber da ist etwas, das an ihm nagt und ihn am Ende zu Fall bringt. Wer ist er? Wo kommt er her? Während die Mutter zu finden war , was unerquicklicher nicht hätte sein können, bleibt der Vater noch diffus. In Paris kommt Louis auf die Spur seiner unglaublichen Abstammung. Verliert sich in kriminellen Machenschaften, lässt sich von der trügerischen Schönheit einer gefährlichen Stadt blenden und steht "am End' als armer Tor und ist so schlau als wie zuvor"...
In ganz kurzen Sätzen erzählt Lewinsky eine atemberaubende, traurige, äußerst spannende Geschichte über Heimat und Herkunft. So kurz sind die Sätze, dass man sich erstmal daran gewöhnen muss. Zack, zack, zack kommen die Fakten schörkelos auf den Tisch und werden einem fast ungeschliffen um die Ohren gehauen. Da gibt es kein literarisches Geschwurbel. Doch nach kurzer Zeit ist man dermaßen gefangen, leidet, lacht sich eins ins Fäustchen und kann partout nicht verstehen, warum dieser schlaue Kerl einfach keine Ruhe gibt. Und alles wissen will. Egal um welchen Preis. Oder versteht man es nur zu gut?
Dolles Ding!
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Unbedingt lesen!

Epidemie der Freude.

Michael Kumpfmüller:"Mischa und der Meister" (Verlag Kiepenheuer & Witsch) | 24.8.2022
Jesus besucht für eine kurze Zeit "die alte Göre Berlin" und versetzt ihre Bürger in entrückte Zustände. Alles Böse weicht von den Seelen der Heimgesuchten. In einer kurzen, traumhaften Metamorphose sind alle gleich und einander zugetan, liebevoll und großzügig.  Doch der Teufel steckt im Detail und ruft sich selbst auf den Plan. Mal als Pudel, mal als Querulant, fährt der Gehörnte in sieben verschieden Männer. So mischen sich ein Zahnarzt, ein Malermeister, ein Gebrauchtwagenhändler, ein Bezirksstadtrat, ein Theaterregisseur, ein Universitätsprofessor und ein Steuerberater  unter die Geläuterten um Gier, Neid und Missgunst zurück in die Gesellschaft zu bringen. Jesus, "der Mann der gestorben war" ist wie bei "Meister und Margarita" von Bulgakow plötzlich ganz irdisch, genießt gutes Essen, verliebt sich eine schöne Frau und lässt sich vom Leben auf die Probe stellen. Es gibt fliegende Ballköniginnen, sprechende Hunde, schwimmende Katzen und viel absurdes Zeug. Bulgakow lässt in jeder Überschrift grüßen und hat auch sonst die Zügel fest in der Hand. Wer "Meister und Margarita" gelesen hat, wird sich freuen, wer dieses Buch nicht kennt, es gleich und sofort lesen wollen. Mit Mischa, Anastasia und Onkel Wladimir wandern wir von Kreuzberg nach Mitte, über Pankow zurück nach Schöneberg und klappern nebenher legendäre Kneipen, Clubs und Cafes ab. Am Ende stellt sich die Frage, was täte das Gute, wenn das Böse nicht wäre?" Wenn die Schatten von der Erde verschwänden, wäre eben diese wohl nur ein kahles Licht", hat Voland schon in "Meister und Margarita" verkündet. Und das ist wohl wahr. Was für ein charmantes Buch! Macht Lust auf Borschtsch, Schostakowitsch und russische Literatur! Und auf eine Tour quer durch "die alte Göre Berlin".
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Unbedingt lesen!

Wenn Mütter zu sehr lieben.

Liz Nugent:"Auf der Lauer liegen" (Verlag Steidl) | 19.8.2022
Irrland in den 1980er Jahren. Mutter Lydia räumt alles aus dem Weg, was ihrer Liebe zu Laurence, ihrem einzigen Sohn im Weg steht. Gnadenlos und mit einer Kaltblütigkeit, die einem die Schue auszieht. Schon als Kind die Zwillingsschwester "eliminiert", später einer drogensüchtigen Prostituierten den Garaus gemacht und selbst den eigenen Ehemann in den Tod getrieben. Verwöhnt, ihr Leben lang in Wohlstand gebettet, wünscht sie sich nichts anderes als ihren Lebensabend gemeinsam mit ihrem geliebten Sohn, in der schönen Villa zu verbringen. Laurence, der sich von einem fettleibigen, einsamen Kind zum gut aussehenden jungen Mann entwickelt hat, geht erste Beziehungen ein, verliebt sich und erlebt ein kurzes Glück - nicht ahnend, dass ein dunkles Geheimnis auf seiner Familie liegt. Seine Mutter, die geschickt alle Liebschaften torpediert lässt sich die Fäden nicht aus der Hand nehmen, intrigiert und geht am Ende bis zum Äußersten...
Wie einfach es ist, Schuld und Schuldgefühle auszublenden und wie schnell es geht den eigenen Verdacht auf andere zu lenken ist erschreckend und irre spannend zu lesen. Atemlos folgt man der verschlagenen Boshaftigkeit einer Übermutter, die genau weiß, an welchen Rädchen zu drehen ist. Ohne Rücksicht auf Verluste treibt sie ihr perfides Spiel. Nimmt sich was sie will, kriegt es und zerstört alles und alle, sich selbst eingeschlossen.
Krasses Buch! Kann man nicht aufhören zu lesen, ahnt schon nach der Hälfte Schlimmes. Und es kommt noch schlimmer....
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Die Genealogie des Geldes.

Hernan Diaz:"Trust" (Verlag Hanser Berlin) | 4.8.2022
Am Anfang war das Geld. Und eine Geschichte. Am Ende ist das Geld noch immer da, die Geschichte jedoch fragwürdig. Wer hat das Recht eine Geschichte zu erzählen, wer wird sie glauben? Was bleibt von einer Legende? Wie wahr ist das, was wir gerne glauben wollen und wie gefährlich kann der Mythos dazu sein? Kann man sich selbst trauen? Den eigenen Werten immer treu bleiben?
Im Manhattan der 1920er Jahre steppt der Bär und der Börsenticker. Benjamin Rask, Einzelgänger und merkwürdiger Sonderling reicher Abstammung, weiß sein Vermögen ins Unermessliche zu mehren. Mit leichter Hand, klugem Kopf, Mut und einer Affinität zu Zahlen jongliert er sich in die obersten Stockwerke eines aufkommenden Finanzimperiums. Der Zufall schickt ihm eine exzentrische  junge Flapper ins Haus, die seine Frau, seine Muse und Antreiberin wird. Doch nichts ist für die Ewigkeit und alles Geld der Welt macht nicht zwingend glücklich, weiß man ja. Aber es beruhigt...
Wer war Benjamin Rask alias Andrew Bevels? Was hat seine Frau tatsächlich für eine Rolle gespielt? Welche Erzählung stimmt und wird den Menschen im Gedächtnis bleiben? Und wie war das eigentlich wirklich?
Was für ein kluges, außergewöhnliches Buch! Man taucht tief in die Finanzwelt der "Goldenen Zwanziger" ein, badet im Geld, haut Kredite raus, erlebt "schwarze Donnerstage", den ersten Börsencrash und verliert mit manch einem Haus und Hof, während andere wenige sich bereichern. Schnell sitzt man dem Trugbild der Reichen und Schönen auf, glaubt an an das feste Gefüge von Geld und Macht  und merkt verblüfft, wie einfach es sein kann, Geschichte zu schreiben. Egal ob sie stimmt oder nicht...
Das ist ein großer, ein ganz großer amerikanischer Gesellschaftsroman!
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Im Fegefeuer des Klimawandels.

Jens Liljestrand:"Der Anfang von morgen" (Verlag S. Fischer) | 27.7.2022
Das Land bzw. die Wälder brennen den Schweden unterm Hintern weg. Ganze Dörfer werden evakuiert und und wer nicht früh genug Sack und Pack und die Beine in die Hand nimmt, hat schlechte Karten. Familien verlieren sich, Transportwege werden abgeschnitten und jeder ist sich selbst der Nächste.
Didrik, der seine Familie im Geist längst aufgegeben hat, um mit der jungen, sexy Influencerin Melissa ein neues Leben zu beginnen, hat seine Lieben nun wieder am Hals. Eine letzter gemeinsamer Urlaub in der Pampa Schwedens wird zum Desaster. Die Autobatterie leer, kein "Feuer-Shuttle in Sicht, macht sich die Familie mit drei Kindern zu Fuß auf den Weg. Während eines der Kinder kurzum bei Fremden im Auto verschwindet, kommt auch Vater Didrik beim kläglichen Versuch, den Rest der Familie vor den Flammen zu schützen, abhanden. Einzig die ewig nörgelnde Teenietochter Vilja wächst über sich hinaus und nimmt die Mission in die Hand. Während die einen ums Überleben kämpfen, postet Melissa im sicheren Stockholm hübsch weiter über das gute Leben, dass sich jeder verdient hat. Doch auch sie kriegt ihr Fett weg und muss einsehen, dass es den Klimawandel wirklich gibt und sich die Frage stellen, auf welchem Planeten sie bis jetzt eigentlich gelebt hat.
Heiliger Bimbam! Was für ein krass gutes Buch! Irre spannend, man fliegt atemlos durch die Seiten, spürt die Hitze und hat den Rauch in der Nase.  Beklemmend und gefährlich nah dran, an unserer Realität. Eigentlich sind alle Protagonisten wahnsinnig unsympathisch aber irgendwie tun sie auch leid. Man kämpft mit ihnen ums Überleben und wünscht sogar Didrik, seiner verwöhnten, unreflektierten Frau und selbst der idiotischen Melissa ein gutes Ende.
Dieses Buch ist ein echter Burner. Im wahrsten Sinne des Wortes!
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Unbedingt lesen!

OoH Ooh, Yeah Yeah, Baby Baby!

David Mitchell:"Utopia Avenue" (Verlag Rowohlt) | 25.7.2022
Folksängerin Elf, Bluesbassist Dean, Gitarrengott Jasper und der Jazzdrummer Griff. Die späten Sechzigerjahre und ein schrilles, psychedelisches Setting im "Swinging London" sind die Ursuppe in David Mitchells neuem Meisterwerk.
Während sich die Band vom miesesten Club der englischen Provinz bis nach Amerika hochtourt, wird alles mitgenommen, was exemplarisch zum Aufbruchsgeist einer ganzen Generation gehört. Mut und Zuversicht, Scheitern und Verzagen, viel Sex mit und ohne Liebe, Alkohol, Drogen und alles, was das neue Bewusstsein erweitert. Und natürlich: Musik, Musik, Musik! 
Auf Spotify gibt es sogar eine Playlist zum Buch! Weil die vier Utopias so unterschiedlich sind, gibt es viel Zünstoff zwischen den Bandmitgliedern und wäre da nicht ihr Manager, der die Truppe irgendwie zusammenhält, hätte es nicht mal ein einziges Album gegeben. Doch auch der schafft am Ende nicht den faustschen Packt zurückzunehmen und so wird es nur 2 Platten geben. Die aber sind so genial, dass sie alles andere überstrahlen und in die Musikgeschichte eingehen. Und es wäre kein echter David Mitchell, ohne alte Bekannte aus "Wolkenatlas", "Knochenuhren" und co. und ohne ein paar "stranger things" "Klopf-Klopf"... Ein Wahnsinn dieses Buch, so bunt und prall und voller Leben. Wie immer mit viel Liebe zu seinen Protagonisten und großartiger Situationskomik. Und manchmal so wunderbar traurig, dass  einem ein schöner, dicker Kloß im Hals steckt und das Herz auf Flatterkurs geht.
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Unbedingt lesen!

Der Bauer, die Braut und das Böse.

Reinhard Kaiser-Mühlecker:"Wilderer" (Verlag S. Fischer) | 8.7.2022
Während die Großmutter auf dem "Judengeld" hockt, versucht Jakob den Hof der Eltern irgendwie über die Runden zu bringen. Vielleicht liegts am schlechten Karma durch unrechtmäßige Aneignung oder einfach nur am maroden Zustand der Maschinen. So richtig will es nicht gelingen. Als eine junge Stipendiatin in die Nähe des Hofes zieht, wird schnell klar: die will bleiben und die will den Jakob. Der Künstlerin gefällt das einfache Leben auf dem Land, die sinnvolle Arbeit mit Tier und Natur. Sie bietet sich als Praktikantin an, wird Jakobs Frau und Mutter seines Sohnes. Nachdem die Großmutter, das Zeitliche gesegnet hat und das Erbe des Großvaters endlich an Jakob übergeht, kann das junge Paar richtig loslegen. Ein Biohof soll's werden und überhaupt sollen Glück und die Schönheit der Natur von nun an Vorfahrt haben. Katja fügt sich gut in die Familie Jakobs ein, arbeitet hart und beklagt sich nie. Könnte alles so schön sein . Aber nein, natürlich is da was, schwingt auf jeder Seite so ein ungutes Gefühl mit. Während einer Wanderung,braut sich nicht nur ein Gewitter zusammen. Da kommen plötzlich alte Geschichten hoch. Und viel schlimmer noch, mit dem Jakob stimmt was ganz und gar nicht. Wo kommt dieser Zorn her, der da tief in ihm lauert. Wo diese Gemeinheit, die ihm in den Knochen sitzt? Woher der Teufel, der auf seinem Herzen hockt und keine Empathie zulässt?
Wie großartig ist dieses Kammerstück gemacht! Wahsinnig toll geschrieben (preisverdächtig!) und so spannend. Eigentlich passiert nicht viel und doch geht es um alles, was einen Menschen ausmacht und die Welt zusammenhält. Wer Seethaler gerne gelesen hat, wird hier auf seine Kosten kommen. Nur noch viel literarischer!
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Unbedingt lesen!

Elena Ferrante in krass, auf Teneriffa.

Andrea Abreu: So forsch, so furchtlos (Kiepenheuer&Witsch) | 8.7.2022
Zwei Mädchen, beste Freundinnen in der Trostlosigkeit der Ferien und hinter der schönen Urlaubskulisse der Touristen. Der Strand zu weit weg, ein Kanal muss herhalten, das Drumherum stellt man sich einfach vor und tut so als ob.Die Jungs sind eigentlich eklig aber das Ding zwischen ihren Beinen dann doch immer ein Gesprächsthema. Während die Mädchen noch mit Puppen spielen, "rubbeln" sie sich dem schönen Gefühl entgegen, bekommen ihre Tage, tragen heimlich BHs und kotzen das Essen aus, um schlank zu bleiben.  Die Pubertät verlangt ihnen alles ab, zeigt ihre Grenzen und lässt sie gleichermaßen über sich selbst hinaus wachsen.  Alles ist möglich. Während die Eine massiv, forsch und furchtlos ist, Brüste und Schamhaare hat, bleibt die Icherzählerin unscheinbar, blass und dünn. Hasst die beste Freundin,vergöttert sie, eifert ihr nach und  liebt sie am Ende so sehr, dass es zu viel von allem und für alle ist.
Heilige Scheiße, was für ein Buch! So krass, so literarisch. Ziemlich verstörend und nichts für sensible Gemüter oder Schöngeister. Da gibt es keine hübsche Geschichte, keinen spannenden Plot. Eher die schnörkellose, wuchtige Bestandsaufnahme einer Adoleszenz. Literatur in reinster Form sozusagen Dieses Buch ist ein Geschoss und feuert auf jeder Seite seine Ladung ab. Und trifft immer mitten ins Herz.
Lesen!
Unbedingt lesen!